Extraleben
Fenster und Whirlpool im Garten. Und natürlich mit dieser Aussicht. Da haben die Angelinos schon was. Und weil sie wissen, wie kostbar jedes Scheibchen ihres Panoramas ist, schirmen sich die Einheimischen eifersüchtig mit hohen Hecken gegen jeden Eindringling ab. Um trotzdem ein Stück Ausblick genießen zu können, müssen wir einen kleinen Regelverstoß in Kauf nehmen - nämlich den Mulholland Drive ganz nach oben fahren: Eigentlich ist die Straße hier für Anwohner reserviert, und an jeder Kreuzung stehen Durchfahrt-verboten-Angstschilder, die Auswärtige draußen halten sollen. Ausnahmsweise rebellieren wir, und das zahlt sich sogar aus: Wir finden ein Grundstück, auf dem gerade ein Apartment abgerissen wurde. Das bedeutet: keine Mauern, keine Alarmanlagen, freier Blick in die Nacht und auf die Welt. Vom Nachbargrundstück, auf dem eine Villa im spanischen Kolonialstil steht, weht der Geruch von Chlorwasser und Hibiskusblüten herüber; das fahl blaue Licht des Pools schimmert durch die Rhododendron- Hecke. Auf seine natürlich lässige Art, die er immer nur dann ausstrahlt, wenn er sich unbeobachtet fühlt, lehnt Nick am Bauzaun, balanciert zwischen linkem Daumen und Zeigefinger eine Flasche Coors light und starrt in den Abend hinaus. »Hätten wir Anfang der Neunziger auch nicht gedacht, dass L.A. mal so friedlich ist, oder?« »Auf keinen Fall!« Damals standen die Gangwars auf ihrem Höhepunkt: Bloods gegen Crips, rot gegen blau, ein mit Crack angefeuerter Wahnsinn. Jeden Tag meldeten die Fernsehnachrichten ein Drive-by- Shooting, bei dem sich die Gangs aus ihren Autos heraus wahllos mit Maschinenpistolen beharkten. Dann prügelten die Cops auf einen Mann namens Rodney King ein, der versucht hatte, einem Streifenwagen davonzufahren, und brachten das Fass zum Überlaufen. Die Stadt stand in Flammen, und jeder erwartete, dass es so weitergeht, wenn nicht sogar schlimmer. Ich kann mich noch gut an diese lähmende Stimmung erinnern: »Wenn ich damals gefragt worden wäre, wie Los Angeles in den Nullern aussieht, hätte ich gesagt: schmierig und dunkel...« Mein Versuch, den Stadtnamen wie ein einheimischer Latino auszusprechen, misslingt. »...weil der Smog mittlerweile das ganze Tageslicht schluckt«, spinnt Nick weiter. »Genau, voller Cyborgs, Dealer und Asiaten.« »Und auf die Boulevards trauen sich nur noch die gepanzerten Streifenwagen der OCP.« Wir müssen beide lachen. OCP, Omni Consumer Products, der böse, böse Megakonzern aus »Robocop«. Ich glaube, wir haben den Films damals wirklich für eine realistische Zukunftsvision gehalten. Nick beweist, dass er die Schulhofdiskussionen noch voll drauf hat, und dröselt die Story auf: Es ging darum, dass der Cyborg-Polizist alle Verbrecher erschießen oder verhaften durfte, solange die nicht bei seinem eigenen Hersteller, der OCP, angestellt waren. Dagegen hatten seine Erbauer eine versteckte Sperre eingebaut. »Streng genommen ist Direktive Vier, also keinen anderen Mitarbeiter von OCP zu erschießen, ein Osterei in Robocops Betriebssystem - weil er die Anweisung erst in dem Moment entdeckt, als er dabei ist, sie zu verletzen. Er durchschaut das Spiel erst, als er gegen seine Regeln verstößt.« Womit Nick wieder mal geschmeidig eines seiner Lieblingsthemen angesteuert hätte: Easter Eggs, versteckte Gimmicks in Spielen und Filmen. Es ist natürlich kein Wunder, dass er auf diese Eier steht, schließlich hat das Thema a) einen Nerdfaktor und b) die unerlässliche Geheimkomponente. Angefangen hat seine Leidenschaft wohl Anfang der Achtziger, als die ersten Gerüchte aufkamen, in dem Spiel Adventure für das Atari VCS sei ein geheimer Raum versteckt. Der Programmierer des Games hatte angeblich aus Frust darüber, im Vorspann nicht mit Namen genannt zu werden, eine Nische in die Katakomben des Spiels eingebaut, die nirgendwo verzeichnet war. Wer sie fände, sollte die Worte »Created by Warren Robinett« auf dem Bildschirm sehen, meldete der Schulhoffunk. Doch das Ei sei gut versteckt: Um es zu finden, müsse der Spieler einen unsichtbaren, magischen Pixel finden, ihn an einen speziellen Ort bringen und dort gegen eine scheinbar undurchdringliche Wand laufen. Nun muss man sagen, dass Adventure schon abenteuerlich lahm aussah, als es bei uns ankam: Ein simples Quadrat stand für den Spieler, die düsteren Schlosskeller waren nichts als grüne Linien vor grauem Hintergrund, und das Gameplay bestand überwiegend aus Point & Click. Alles in allem nicht
Weitere Kostenlose Bücher