Extraleben
weiter, während wir die letzten Rituale durchexerzieren: Eine Limonade in der kleinen Strandbude neben dem Pier kaufen, Nick holt sich den finalen Sonnenbrand ab, dann reihen wir uns auf dem 408er-Freeway Richtung Flughafen in den Feierabendstau ein, geben den Mietwagen zurück - und nein, Sir, es gab keine Probleme mit dem Wagen. Immer kürzer werden die Dialoge, immer länger die Pausen. Als wir schließlich im Pendelbus zum Abflugterminal sitzen, haben wir seit Stunden nichts mehr geredet, was nicht zur organisatorischen Abwicklung unserer Reise unbedingt notwendig wäre. Unruhig suchen unsere Blicke nach Dingen, die weit genug weg sind, um keinen Augenkontakt zu riskieren - Fluchtpunkte, wie das Schild auf der Rückseite des Fahrersitzes, mit dem sich der Mann, der unser fahrendes Kühlhaus lenkt, als »Marcus« vorstellt. Oder die Werbung an der Decke: »Have you tried our Total Rewards-Program?« Durch die getönten Scheiben des Busses flackert uns ein letztes Mal die kalifornische Sonne ins Gesicht, bevor sie hinter den endlosen Parkplätzen der Autovermietkonzerne am Howard Hughes Parkway verschwindet. Endstation.
LEVEL 29
Wenn ein einfallsloser Regisseur seinem Publikum klarmachen will, dass die folgende Handlung in Los Angeles spielt, schneidet er ein bisschen Archivmaterial vom Theme Building am Flughafen rein. In »Ein Colt für alle Fälle« zum Beispiel war das gang und gäbe. Also immer, bevor Colt Seavers nach einem Auswärtseinsatz in seinen asozialen Monstertruck steigt, flimmern ein paar Sekunden lang verkratzte Bilder von diesem UFO-Gebäude über den Schirm. In den Luftbildaufnahmen sieht es immer aus, als würde das elegante Gebäude auf seinen vier Stahlbetonbeinen schweben, aber in Wirklichkeit steht es auf einer dunkel angestrichenen Säule. Alles nur Hollywood. Gebaut wurde es in den frühen Sechzigern, als der Airport zum Jet Age Terminal aufgerüstet werden sollte, zu in Beton gegossenem Optimismus. Die Architekten planten wohl, eine Wasserstelle für das Jetset einzurichten, einen Platz, an dem Peter Sellers einen letzten Drink nimmt, bevor er mit Claudia Cardinale in die italienischen Alpen aufbricht oder so. Herausgekommen ist ein Ort, an dem man ständig das Gefühl hatte, in einer von Panton designten Vagina zu sitzen: Die Gäste versinken in Sitzecken aus blauem Leder, von oben glimmt eine blaue Deckenbeleuchtung runter, und weit und breit gibt es keine scharfe Kante zu sehen. An der Wand hinter unserem Sitzplatz prangt ein abstraktes Gemälde, das sicher von irgendetwas Astromäßigem inspiriert war; es sieht wie eines dieser Psychobilder aus, bei denen man sagen muss, was einem dazu einfällt. Anfangs pflegte der Laden sogar einen internationalen Anspruch: Das Personal trug nachgemachte Trachten verschiedener Länder und reichte globale Klassiker wie »Schweinschnitzel from Austria«. Dass sich ein solches Relikt bis ins Netzzeitalter gehalten hatte, erschien uns jedes Jahr aufs Neue wie ein Wunder. Ende der Neunziger holte die Geschichte den Ort dann doch ein, und es passierte das Schlimmste, was passieren konnte: Der Laden wurde renoviert, und zwar von der Walt Disney Corporation. Die Inszenierungsprofis schmirgelten die verbliebene Patina der echten Jetset-Ära gründlich ab und ersetzten das alte Theme Building, jetzt seelenlos in Encounter umbenannt, durch eine erlebnisgastronomische Karikatur seiner selbst - wie sich Hänschen halt die Sixties vorstellt. Zwischen den Tischen scheinen seitdem etwas zu grelle Lava-Lampen, die Typografie auf der Menükarte ist etwas zu geschwungen und der Lounge-Soundtrack zu berechnend retro. Zu allem Überfluss wurde nach dem 11. September 2001 das großartige Aussichtsdeck geschlossen, sodass potenzielle Terroristen mit ihren russischen Raketenwerfern jetzt wieder auf das ungefähr zwei Meter entfernte Parkhausdach ausweichen müssen. Wir verleihen unser Abscheu dadurch Ausdruck, dass wir ermüdungsfrei jedes Jahr wieder hierherkommen. Stewardess in a mini-skirt Hippie in a leather shirt Starlet on her way to Naples - Rome College kids are tryin'to get back home. Selbst Disney kann nichts daran ändern, dass viele Jahre vergangen sind, seit Leanne Scott diese Zeilen über den L.A. International Airport sang. Immerhin: Eine Zeile stimmt noch, und zwar die letzte mit den Studenten, denn das Encounter ist die meiste Zeit von dem bevölkert, was Amis abschätzig Eurotrash nennen: Zwanzigjährige aus der Alten Welt, die jenseits des
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