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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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Luftansaugstutzen für Fahrten durch tiefes Wasser. Angesichts der Paris-Dakar-Ausrüstung bekomme ich wieder einen kurzen Du-wirst-mit-deinen- Timberlands-sterben- Flash. »Hello, my name is Âke«, stellt sich Herr Andersson vor. Er strahlt diese ungekünstelte Freundlichkeit aus, die es nur auf dem Dorf gibt. Im Gegensatz zu seinem Wagen sieht der schlaksige Einsneunzig-Mann nicht besonders geländegängig aus: Seine dünnen Beine stecken in einem Paar hellgelber Gummistiefel; dazu trägt er eine Anglerweste, auf die ungefähr siebzehn Taschen verschiedener Größe aufgenäht sind. Alles in allem wirkt er wie jemand, der gleich im Garten Unkraut zupfen oder eben Angeln gehen will. Ich schätze ihn auf fünfunddreissig, vielleicht auch vierzig, hinter dem dichten Hippiebart lässt sich das nur schwer erkennen. Wir steigen ein, und mein Chauffeur braucht ganze drei Versuche, bis er mit ungelenken Bewegungen das Zündschloss entriegelt hat. Als er meinen skeptischen Blick bemerkt, stottert er irgendetwas davon, dass der Wagen eigentlich seinem Bruder gehöre und der auch »all those embarassing after market parts« angebracht habe. Meine Survival-Panik legt sich wieder ein bisschen. Wie jeder gute Taxifahrer hat auch Âke nach wenigen Minuten meinen Gesprächsbedarf - also null - sofort erfasst. Nachdem ich auf seine Testfrage »Wanna see the icecap, right?« nur ein kurzes »Yap« geantwortet habe, stellte er alle Kommunikationsversuche ein. Seitdem schunkeln wir schweigend über die Buckelpiste. die am Nordende von Kangerlussuaq rausführt. Der Regen von gestern hat die Spurrillen in tiefe Seen verwandelt, und Âke muss ständig vom rechten Rand der Straße zum linken pendeln, um den Wagen nicht festzufahren. Nach einer halben Stunde steigt er kurz aus und fummelt mit ernster Mine unter der Motorhaube rum, wirkt dabei aber so tüddelig, als hätte er das noch nie zuvor gemacht. »It's leaking steering fluid, you know«, erklärt er in seinem gebrochenem Englisch. Die Wartung dauert fünf Minuten, dann lässt er den Wagen wieder an und versucht, doch noch ein bisschen Konversation zu machen. Er erzählt davon, dass die Straße, auf der wir gerade fahren, angeblich von Volkswagen angelegt wurde, um auf diesem Weg Wagen zum Testen aufs ewige Eis zu bringen. Irgendjemand will nachts am Flughafen größere Fahrzeugkolonnen gesichtet haben, sagt Herr Andersson. Ausgerechnet Volkswagen ... In diesem Moment zeichnen sich in der Ferne die ersten Ausläufer der Gletscher ab, und mir wird klar, dass diese Geschichte Seemannsgarn sein muss. Der Eisrand sieht aus wie in einem Cartoon: eine steile, etwa haushohe weiße Mauer, ohne Ausläufer oder flache Stelle, an der man hochfahren könnte - als ob jemand eine dicke Eisscheibe auf das Land gelegt hätte. Kein Wagen der Welt kommt da einfach so rauf - und schon gar keiner aus Wolfsburg. Als Âke meine interessierten Blicke sieht, sagt er: »Don't try to touch the ice. Big chunks can fall off any time, you know.« Er klingt echt besorgt. »Okay«, quittiere ich extraknapp. Nach einer guten Dreiviertelstunde hält mein Fahrer an und schaltet den Motor ab. Vor uns macht die Straße einen Knick nach Osten, mein Ziel liegt nördlich, also geradeaus. »That's it«, sagt Âke und lächelt. Jetzt ist es kurz vor zehn. Wir verabreden, dass er mich heute Abend gegen sechs an dieser Stelle wieder abholt; den vollen Fahrpreis hatte er schon vor dem Beginn der Fahrt kassiert. Ich schüttele ihm kurz die Hand und trete hinaus in den gleißenden Sonnenschein. Das ist er also: mein erster Schritt allein in der Fremde, in einer unwirklichen Welt. Bis auf die übliche Grundangst könnte der Tag nicht perfekter sein: Vom Fjord weht eine leichte Brise herauf, die Sonne brutzelt vom wolkenlosen Himmel herunter und trocknet die letzten Spuren des gestrigen Gewitters. Alle Befürchtungen, nicht polartauglich genug gekleidet zu sein, waren unbegründet; es ist sogar warm genug, um die Jacke auszuziehen. »Fliegerwetter!« hätte unser Lateinlehrer Doktor Stein dazu gesagt, der alte Flakhelfer. Hinter meinem Rücken röhrt der Motor des Landcruisers kurz auf, Âke brüllt aus dem halboffenen Fenster noch »see you tonight« rüber, dann schaukelt sein Wagen auch schon wieder die Schlammpiste zurück in Richtung Kanger. Ich setze die Sonnenbrille auf und marschiere los. Jetzt eine Mundorgel ! In der Unterstufe war kein Klassenausflug komplett ohne dieses kleine rote Heftchen mit Wanderliedern. Es

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