Extraleben
es ein Sommertag wie heute, mitten in den Ferien, mit 30 Grad und Freibadhimmel. Seit Tagen hatte Nicks Mutter ihm in den Ohren gelegen, doch mal »was draußen« zu machen. Und obwohl seine Eltern eigentlich kaum was zu melden hatten, tat er ihr den Gefallen, packte seinen C64 samt Monitor einfach auf einen weißen Garten-Servierwagen und rollte alles auf die Terrasse. Da saßen wir also auf unserer kleinen Nerd-Insel unter der alten Weide, in der Hand einen Apfelsaft - Schorle gab's da noch nicht -, an den Füßen das wasserdichte Rasenmäherstromkabel, und legten letzte Hand an Magnum an, unser erstes selbst geschriebenes Computerspiel. Obwohl selbst geschrieben vielleicht etwas übertrieben war: Die Titelmusik der Fernsehserie hatten wir als SID-Version auf irgendeiner Cracker-Diskette gefunden, genau wie die Schriftarten und die Laufband-Routinen für den Vorspann. Überhaupt der Vorspann: Wie die echten Profis steckten wir da 90 Prozent unserer Energie und die volle Rechnerpower des Brotkastens rein. Ich hatte mit viel Liebe ein Porträt von Tom Selleck gemalt, das wir damals für super getroffen hielten, das aber eigentlich keine Ähnlichkeit mit dem Schauspieler hatte. Als wir letztens noch mal drüber gestolpert sind, fanden wir beide, dass Selleck wie ein Schwarzer drauf aussieht. Nick steuerte jedenfalls diverse Laufbänder bei, die ständig unsere Crackernamen durchnudelten, »Ziggy« für Nick, »Kee« für mich. Als echte Nostalgiker verwenden wir diese Namen noch heute überall, wo so kurze Log-in-Kürzel erlaubt sind. Es war das perfekte Intro, klopften wir uns gegenseitig auf die Schulter, ein Feuerwerk aus Formen, Farben und Bildschirmzuckeln - das würde Eindruck machen in der Community! Nachdem wir für den Startbildschirm ungefähr eine Woche gebraucht hatten, war nicht mehr viel Energie für das eigentliche Spiel übrig, und den ersten und einzigen Level kloppten wir an diesem Nachmittag unter der Weide zusammen. Das banale Gameplay stand schnell fest: Der Spieler sollte ein kleines Magnum- Männchen durch das Anwesen von Robin Masters steuern und dabei Higgybabys Dobermännern aus dem Weg gehen. Da wir alle Sprites hochauflösend gemacht hatten, war nachher für die Hintergrundgrafik kaum noch Speicher übrig, und Magnum und seine Verfolger bewegten sich vor einem Mosaik aus grauen und grünen Symbolen. Besonders schwer war das Game letztendlich auch nicht, da Nick aus Faulheit für beide Dobermänner den gleichen Patrouillierweg programmierte hatte; nach ein paar Minuten wusste man so, wie der Hund läuft, und konnte Magnum mit geschlossenen Augen durch den Garten lotsen. Spielte aber keine Rolle, denn die nächsten Level würden es schon richten; für die nahmen wir uns Großes vor, mit Flashback-Szenen aus Vietnam, Hubschraubern und natürlich noch was mit dem Ferrari. So ein kleiner Fahrsimulator zwischendurch, das wär's doch. Ich glaube, genau eine Hintergrundgrafik habe ich noch gemacht, dann schlief das Projekt ein, weil wir damit beschäftigt waren, jede freie Minute Beachhead II zu zocken. Aber als wir an diesem Nachmittag auf Nicks Terrasse schließlich fertig waren und das Game zum ersten Mal vom Intro bis zum atemberaubenden ersten Level durchspielen konnten, holte Nick sogar seine Mutter rüber, um ihr unser Werk vorzuführen. Sie lächelte etwas unsicher, wahrscheinlich, weil sie insgeheim dachte: »Ist der Magnum nicht ein Weißer?« Egal, wir hatten geschafft, was sonst nur die Profis schafften. Zum ersten Mal war ein Spiel nicht nur Rohmaterial zum schnellen Durchzocken, Spriteklauen oder billige Tauschware für den Schulhof. Es war unser Spiel. Aussprechen wollte das natürlich keiner von uns, dafür hätte es viel zu lehrermäßig nach »selbst gemacht ist doch viel besser als der Kormmerzscheiß« geklungen. Trotzdem war da was: Stolz, mindestens genauso viel wie beim hundertfünfzigsten Highscore. Hätten wir das vielleicht weitermachen sollen? Ein Bekannter eines Bekannten hatte schließlich in seinem Keller den ersten Bundesliga Manager programmiert und war danach voll ins Spielebusiness eingestiegen. Wahrscheinlich spielten wir einfach zu gerne, um für die Belohnung eine Woche lang vorm Bildschirm zu sitzen; in die Community-Zeitschrift »64er« haben wir es mit Magnum jedenfalls nicht geschafft. Aber vielleicht gelingt mir ja heute der Sprung in das »Journal of Cold War Studies«, das Nick im Netz immer verschlingt? Der Höhepunkt meiner Forschungsreise zumindest
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