Extrem laut und unglaublich nah
mein Protegé sein darfst. Ich weiß nicht recht, was ich darauf antworten soll, aber ich würde mich sehr freuen, wenn du mich für einige Tage in Cambridge besuchen würdest. Ich könnte dich meinen Kollegen vorstellen, dich zum besten Curry außerhalb Indiens einladen und dir zeigen, wie todlangweilig das Leben eines Astrophysikers sein kann.
Du kannst eine goldene Zukunft in den Naturwissenschaften haben, Oskar.
Ich würde gern alles in meiner Macht Stehende tun, um dir einen solchen Weg zu ebnen. Die Vorstellung, dass du deine Phan tasie zu naturwissenschaftlichen Zwecken einsetzt, ist wunderbar.
Ich bekomme ständig Post von klugen Menschen, Oskar. In deinem fünften Brief hast du gefragt: »Und wenn ich nie aufhören würde, mir Sachen auszudenken?« Diese Frage geht mir immer noch im Kopf herum.
Ich wünschte, ich wäre ein Dichter. Das habe ich noch nie jemandem gestanden, und ich gestehe es dir, weil du mir das Gefühl gegeben hast, dass ich dir vertrauen kann. Ich habe mein Leben damit verbracht, das Universum zu erforschen, meist mit meinem geistigen Auge. Es war ein unglaublich erfülltes Leben, ein wunderbares Leben. Es war mir möglich, gemeinsam mit einigen großen Denkern der Gegenwart die Ursprünge von Zeit und Raum zu erkunden. Trotzdem wünschte ich, ich wäre ein Dichter.
Albert Einstein, eines meiner großen Vorbilder, schrieb einmal, dass unsere Situation die folgende sei: Wir stünden vor einer ver schlossenen Kiste, die wir nicht öffnen könnten.
Wahrscheinlich brauche ich dir nicht erst zu sagen, dass der überwiegende Teil des Universums aus dunkler Materie besteht. Das fragile Gleichgewicht beruht auf Dingen, die wir niemals sehen, hören, riechen, schmecken oder berühren können. Das Le ben selbst beruht darauf. Was ist wirklich? Was ist nicht wirklich? Vielleicht sind das nicht die richtigen Fragen. Worauf beruht das Leben?
Ich wünschte, ich hätte Dinge hervorgebracht, auf denen das Leben beruht.
Und wenn du nie aufhören würdest, dir Sachen auszudenken?
Vielleicht denkst du dir gar nichts aus.
Ich werde zum Frühstück hereingerufen und muss den Brief an dieser Stelle beenden. Ich würde dir am liebsten noch viel mehr sagen, und ich möchte noch viel mehr von dir hören. Wie schade, dass wir auf verschiedenen Kontinenten leben. Das ist bedauerlich, genau wie vieles andere.
Zu dieser Stunde ist es herrlich draußen. Die Sonne steht noch tief, die Schatten sind lang, die Luft ist kalt und klar. Du wirst erst in fünf Stunden erwachen, aber ich habe trotzdem das Ge fühl, dass wir diesen herrlichen und klaren Morgen gemeinsam erleben.
Dein Freund
Stephen Hawking
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MEINE GEFÜHLE
Mitten in der Nacht riss mich ein Klopfen aus dem Schlaf .
Ich hatte vom Ort meiner Herkunft geträumt .
Ich zog mir den Bademantel an und ging zur Tür .
Wer mochte es sein? Warum hatte der Portier nicht vorhe r angerufen? Ein Nachbar? Aber warum ?
Wieder Klopfen. Ich schaute durch den Spion. Es war dei n Großvater .
Komm herein. Wo bist du gewesen? Ist alles in Ordnung ?
Seine Hosenbeine waren unten mit Erde beschmiert .
Ist alles in Ordnung ?
Er nickte .
Komm herein. Ich klopfe dir erst mal den Dreck ab. Wa s ist denn passiert ?
Er zuckte mit den Schultern .
Hat dich jemand verletzt ?
Er hob die rechte Hand .
Bist du verletzt ?
Wir gingen in die Küche und setzten uns an den Tisch. Ne beneinander. Die Fenster waren schwarz. Er legte sich di e Hände auf die Knie .
Ich rutschte so dicht an ihn heran, dass sich unsere Hüften be rührten. Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter. Ic h wollte, dass wir uns körperlich so nahe wie möglich waren .
Ich sagte zu ihm: Damit ich dir helfen kann, musst du mir scho n erzählen, was passiert ist. Er zog einen Stift aus der Hemd tasche, aber er hatte kein Papier. Ich hielt ihm die offen e Handfläche hin .
Er schrieb: Ich möchte dir gern ein paar Zeitschriften holen .
In meinem Traum erstanden alle eingestürzten Decken neu . Das Feuer rollte zurück in die Bomben, die nach oben in di e Bäuche der Flugzeuge sausten, deren Propeller sich verkehr t herum drehten, genau wie die Sekundenzeiger aller Uhren i n Dresden, nur schneller .
Ich hätte ihm seine Worte am liebsten um die Ohren gehauen .
Ich hätte am liebsten gerufen: Das ist unfair, und wie ein Kin d mit den Fäusten auf den Tisch getrommelt .
Welche Zeitschriften?, schrieb er auf meinen Arm .
Alle, die interessant sind, sagte ich .
Kunstzeitschriften ? Ja .
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