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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Die Vase sei ge nau richtig, meinte er. Er meinte, sie würde ihr bestimmt su per gefallen.« »Er hatte eine Überraschung für sie?« »Er hatte Plätze in ihrem Lieblingsrestaurant reserviert. Er wollte so richtig schick mit ihr ausgehen.«
    Der Smoking.
    »Was hat er noch gesagt?« »Was hat er noch gesagt …« »Egal was.« »Er hatte ein sehr schönes Lachen, das weiß ich noch. Es war gut, dass er gelacht und mich damit auch zum Lachen ge bracht hat. Er hat um meinetwillen gelacht.«
    »Was noch?« »Er hatte einen guten Blick.« »Was heißt das?« »Er wusste, was ihm gefiel. Er wusste, wann er es gefunden hatte.« »Stimmt. Er hatte einen unglaublich guten Blick.« »Ich weiß noch, wie er die Vase in der Hand hielt und betrachtete. Er sah sich den Boden an und drehte sie ein paar Mal hin und her. Er machte einen sehr aufmerksamen Eindruck.« »Er war extrem aufmerksam.«
    Ich wünschte, er hätte sich an weitere Einzelheiten erinnert, etwa ob Dad seinen obersten Hemdknopf offen hatte oder ob er nach Rasieren gerochen oder »I Am the Walrus« gepfiffen hatte. Hatte er eine New York Times unter dem Arm gehabt? Sich die Lippen eingefettet? Einen Rotstift in der Tasche?
    »Als die Wohnung abends leer war, setzte ich mich auf den Fußboden und las den Brief meines Vaters. Ich las den Satz mit der Vase. Ich hatte das Gefühl, vor ihm versagt zu haben.« »Aber hätten Sie nicht zur Bank gehen und sagen können, dass Sie den Schlüssel verloren haben?« »Das habe ich versucht. Aber angeblich hatte er kein Schließfach. Ich habe es unter meinem Namen versucht. Kein Schließfach. Und auch keines unter dem Namen meiner Mutter oder den Namen meiner Großeltern. Die Sache war sinnlos.« »Und die Leute bei der Bank konnten nichts tun?« »Sie waren mir sehr behilflich, aber ohne den Schlüssel ging nichts.« »Und darum mussten Sie meinen Dad finden.«
    »Ich hoffte, er würde den Schlüssel in der Vase bemerken und mich dann suchen. Aber wie sollte er mich finden? Die Wohnung meines Vaters hatten wir verkauft, es hätte ihm also nichts genützt, wenn er dorthin gegangen wäre. Und ich war mir ziemlich sicher, dass er den Schlüssel wegwerfen würde, wenn er ihn entdeckte. Das hätte ich jedenfalls getan. Und ich hatte keine Chance, deinen Dad zu finden. Gar keine. Ich wusste ja nichts über ihn, ich kannte nicht einmal seinen Na men. Ein paar Wochen bin ich nach Feierabend immer in das Viertel gefahren, obwohl es nicht auf meinem Weg lag. Ich bin herumgelaufen und habe nach ihm Ausschau gehalten. Ich habe sogar ein paar Zettel aufgehängt:›An den Mann, der beim Wohnungsausverkauf in der 75. Straße die Vase gekauft hat – bitte melden Sie sich bei …‹ Aber das war die Woche nach dem 11. September, und alles war mit Postern gepflastert.«
    »Meine Mom hat Bilder von ihm aufgehängt.« »Wie meinst du das?« »Er ist am 11. September umgekommen. So ist er ge storben.« »Oh, Gott. Das habe ich nicht geahnt. Das tut mir wahnsinnig Leid.« »Ist schon gut.« »Ich weiß gar nicht, was ich jetzt sagen soll.« »Sie brauchen nichts zu sagen.« »Ich habe die Bilder nicht gesehen. Wenn ich sie gesehen hätte … Tja, ich weiß auch nicht, was ich dann getan hätte.« »Sie hätten uns ausfindig machen können.« »Vermutlich schon, ja.« »Ich frage mich, ob Ihre Zettel und die Poster meiner Mom irgendwo nebeneinander gehangen haben.«
    Er sagte: »Ich habe ständig versucht, ihn zu finden, egal wo ich war: in den Außenbezirken, im Stadtzentrum, im Zug. Ich habe jedem in die Augen geschaut, aber es waren nie seine. Einmal stand ich auf der anderen Seite des Broadway und habe jemanden auf dem Times Square gesehen, den ich für deinen Vater hielt, aber ich habe ihn zwischen den vielen Menschen aus den Augen verloren. Dann habe ich jemanden, der dein Vater hätte sein können, in der 23. Straße in ein Taxi steigen sehen. Ich hätte ihm hinterhergerufen, aber ich kannte seinen Namen ja nicht.« »Thomas.« »Thomas. Ich wünschte, das hätte ich damals gewusst.«
    Er sagte: »Einem Mann bin ich länger als eine halbe Stunde durch den Central Park gefolgt. Ich habe ihn für deinen Vater gehalten. Ich habe nicht kapiert, warum er die ganze Zeit so komisch kreuz und quer lief. Völlig ziellos. Das habe ich nicht kapiert.« »Warum haben Sie ihn nicht angesprochen?« »Das habe ich irgendwann getan.« »Und was war?« »Ich hatte mich geirrt. Er war es nicht.« »Haben Sie ihn gefragt, warum er so komisch gelaufen ist?«

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