Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
F (German Edition)

F (German Edition)

Titel: F (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
Vom Netzwerk:
bin ich selbst. Ich weiß nicht, was, aber etwas Schreckliches ist geschehen. Etwas, das nicht hätte geschehen dürfen. Etwas, das nie wieder gut wird.
    Ich stehe auf. Es bin nicht nur ich, der schwankt, es ist auch die Kabine: siebter Stock, achter, neunter. So etwas ist mir noch nie zugestoßen. Ich wische mir die Tränen weg und sehe auf die Uhr, vierzehn Minuten nach vier. Merk dir den Tag, merk dir die Zeit: 8. August 2008, vierzehn Minuten nach vier. Was es ist, wirst du früh genug erfahren. Die Kabine hält, die Türen öffnen sich. Im letzten Moment, bevor sie sich wieder schließen, springe ich hinaus.
    Eine Weile muss ich mich noch an die Wand lehnen, dann gehe ich benommen durchs Büro. Alles scheint anders als vorhin, jeder Tisch, jedes Gesicht, jedes Ding. Ich betrete das Konferenzzimmer und murmle eine Entschuldigung, denn sie haben natürlich ohne mich angefangen. Ich ziehe mein Jackett aus, werfe es über einen leeren Stuhl, setze mich und schaffe es wohl, so auszusehen, als wäre alles in Ordnung. Darin bin ich ja Spezialist.
    Der Anblick meiner Mitarbeiter bedrückt mich noch mehr als sonst: all die Trägheit, all das Mittelmaß. Vermutlich liegt das auch daran, dass ich nur mittelmäßige Leute anstelle. Das Letzte, was ich brauche, ist jemand, der mich durchschaut. Lehmann und Schröter sind da, Kelling, dessen Tochter mein Patenkind ist, Pöhlke, den ich sofort entlassen würde, wenn er mir nur einen Grund gäbe, denn ich mag ihn einfach nicht. Maria Gudschmid ist da und auch der Kerl, dessen Name mir nie einfällt. Und Felsner. Ihn mag ich, aber ohne zu wissen, warum. Als ich hereingekommen bin, hat gerade Lehmann gesprochen. Jetzt sind sie alle still, sehen mich an und warten.
    Ich hole Luft. Heiser bin ich, und mir ist, als müsste ich wieder in Tränen ausbrechen, aber irgendetwas muss ich doch sagen. Also stammle ich ein paar Sätze über angenehmes Arbeitsklima und die guten Dinge, die wir machen, und zitiere die Bhagavad Gita: Du stehst hier, Arjuna, also frage nicht, steh auf und kämpfe, denn Gott verabscheut die Lauen. Keine schlechte Ansprache, denke ich. Sie wissen nicht, dass sie bald arbeitslos sein werden, einige wird man als Mittäter verdächtigen, aber die Wahrheit wird ans Licht kommen: Sie sind nicht kriminell, nur unfähig.
    Das mit Gott und den Lauen, sagt Maria Gudschmid, stehe aber nicht in der Bhagavad Gita, das sei aus der Bibel.
    Die Gefahr, sagt Kelling, dass die mit Triple-A bewerteten Anleihen je signifikant verlieren könnten, sei praktisch zu vernachlässigen. Triple-A sei und bleibe klassisches Value Investing und damit risikofrei.
    Ein Problem entstehe dadurch, sagt Pöhlke, dass die Investmentbanken bekanntlich in jene Positionen investierten, die sie kleineren Firmen aktiv zum Kauf anböten. Sie bestimmten somit selbst den Wert dessen, was sie verkauften, mit anderen Worten, sie entschieden autonom, wie viel Geld man ihnen schulde.
    Irgendwann, sagt Felsner, werde es in den USA eine Sammelklage gegen dieses System geben. Aber im Augenblick könne man nur abwarten. Es gebe die Ankündigung, dass sich Krishnas nächster Avatar noch in diesem Weltalter zeigen werde.
    Womit nicht ausgemacht sei, dass der Avatar ein Mensch sein müsse, sagt Maria Gudschmid.
    Wenn man zum Beispiel signifikante Versicherungspositionen halte, sagt Lehmann, könne man gar nicht abschätzen, wie exponiert man im Fall eines Wertverlustes der großen Derivativkonglomerate sei. Es gebe einfach keinen Schlüssel für vernünftige Risikoeinschätzung.
    «Klüssen will sein Geld abziehen», sage ich.
    Auf einen Schlag ist es still.
    Aber das sei doch hoffentlich noch nicht definitiv, sagt Felsner dann. Da könne man bestimmt noch etwas tun.
    Es sei kein guter Moment, um den wichtigsten Account zu verlieren, sagt Maria Gudschmid.
    Im Notfall gebe es Tricks, sagt Lehmann. Wenn zum Beispiel einer rechtlich angreifbaren Marktasymmetrie halber ein Vermögenswert nicht zuverlässig festgestellt werden könne, sei der Treuhänder berechtigt, die Mittel vorübergehend einzufrieren. Auch gegen den Willen des Eigentümers.
    Reine Theorie, sagt Schröter. Kein Gericht werde dieses Argument akzeptieren.
    Noch einmal zu dem Problem mit den Investmentbanken, sagt Pöhlke. Er schlage vor, ein paar von ihnen zu shorten, ohne großen Kapitaleinsatz.
    Nur wer wage, sagt Lehmann, dem werde Krishna geben.
    Mancher wage, sagt Pöhlke gereizt, und Krishna gebe nicht. Der Gott handle in Freiheit, denn er sei die

Weitere Kostenlose Bücher