F (German Edition)
ihn auf die Fahrertür zu, dann steige ich hinten ein.
Herrlich kühl ist es im Auto. Während Knut leise fluchend losfährt, vibriert mein Telefon. Ich sehe die Nummer und nehme das Gespräch beklommen an.
«Mutter?»
«Sei still, hör zu. Ich –»
«Wie läuft die Praxis?»
«Viel zu gut. Das ganze Land will von mir behandelt werden. Alles wegen der Sendung. Ich –»
«Sie ist ja auch sehr interessant, die Sendung.» Ich habe sie nur ein einziges Mal gesehen. «Wir versäumen keine Folge.»
«Ich bin Augenärztin. Von all den Krankheiten verstehe ich nichts. Ich sage den Leuten nur, sie sollen zum Arzt gehen.»
«Mir ist das nicht aufgefallen.»
«Ich wollte dir eine Investition vorschlagen.»
«Eine … Aha.»
«Es geht um ein Grundstück. Unterhalb meines … unseres Hauses. Jemand will es kaufen, um zu bauen. Wir müssen ihm zuvorkommen. Es würde die Aussicht ruinieren.»
«Ach.»
«Es wäre eine gute Investition.»
«Ich weiß nicht.»
«Was soll das heißen?»
Ich versuche, an die Minuten vorhin auf dem Teppich zu denken. An Sibylles Atem an meinem Ohr, an ihren Körper in meinen Armen, an ihr Haar und an ihren Geruch. Aber es hilft nichts. Ich müsste sofort wieder bei ihr sein, sofort wieder nackt auf dem Teppich, und wahrscheinlich würde nicht einmal das reichen.
«Warum sagst du nichts?», fragt Mutter. «Warum kann man nicht normal mit dir sprechen?»
«Ich höre dich nicht mehr!», rufe ich. «Schlechte Verbindung!»
«Ich höre dich gut.»
«Was sagst du?» Ich drücke die Auflegetaste.
«Schlechte Verbindung», sage ich zu Knut. «Man kann ja heute gar nicht mehr telefonieren.»
«Die gehören alle eingesperrt!»
«Wieso?»
«Die sind alle bestochen!»
«Wer?»
«Alle eingesperrt, habe ich gesagt. Alle bestochen!»
Das Telefon vibriert. Ich lege den Daumen auf die Auflegetaste, aber dann nehme ich doch an.
«Hörst du mich jetzt besser?», fragt sie. «Man kann ja heute gar nicht mehr telefonieren.»
«Die Verbindung war in Ordnung. Ich habe aufgelegt.»
«Hast du nicht.»
«Doch.»
«Du würdest nicht einfach auflegen, wenn du mit deiner Mutter sprichst. Du würdest das nicht tun.»
«Kauf das Grundstück selber. Du machst genug Geld mit der Sendung.»
«Aber es ist eine gute Investition.»
«Wie soll es eine gute Investition sein? Du sagst, ich darf nicht einmal etwas bauen .»
«Willst du mir die Aussicht ruinieren? Was willst du bauen?»
«Ich will nicht bauen! Ich will es gar nicht haben!»
«Schrei mich nicht an! Wenn deine Mutter dich bittet –»
Ich drücke die Auflegetaste. Nach wenigen Sekunden vibriert das Telefon wieder, ich ignoriere es. Dann überlege ich eine Weile, starre aufs Telefon, reibe mir die Augen und rufe zurück.
«Du hast aufgelegt!», sagt sie. «Ich weiß es. Leugne nicht!»
«Ich will es gar nicht leugnen.»
«Das würde ich auch nicht glauben.»
«So.»
«Mach das nie wieder!»
«Ich mache, was ich will. Ich bin erwachsen.»
Sie lacht höhnisch auf, mit zitternder Hand drücke ich die Auflegetaste.
Ich warte, aber sie ruft nicht mehr an. Zur Sicherheit schalte ich das Gerät aus. Mir fällt ein, dass Sibylle neulich etwas erstaunlich Richtiges über meine Mutter gesagt hat, was umso überraschender war, als sie ja nichts über meine Mutter weiß; es war offenbar so treffend, dass ich es sofort verdrängen musste, denn ich erinnere mich nur noch daran, dass es treffend war.
Knut beginnt, eine Geschichte zu erzählen, in der ein Marinesoldat, ein alter Affe und ein thailändischer Gärtner vorkommen, auch eine Gießkanne, ein Flugzeug und, wenn ich es richtig verstehe, ein Professor für Münzkunde. Ich nicke von Zeit zu Zeit und gewinne die Überzeugung, dass das alles auch dann keinen Sinn ergäbe, wenn ich aufmerksam zuhören würde. Als wir ankommen, ist es zehn nach vier. Die Konferenz hat schon begonnen.
Ich steige aus dem Wagen, gehe durch die Hitze in die kühle Lobby, betrete den Lift. Vielleicht haben sie ja doch auf mich gewartet.
Schon setzt sich der Lift in Bewegung. Er hält im dritten Stock, keiner steigt zu, und da ich nicht aussteige, steigt auch keiner aus. Kaum fährt er weiter, knicken meine Knie ein, und mein Kopf prallt an die Wand.
Ich höre etwas. Um mich ist es dunkel. Das, was ich höre, ist ein Schluchzen. Ich richte mich ein wenig auf. Nach und nach weicht der Schatten. Ich taste meinen Kopf ab: kein Blut. Jetzt sehe ich die schmutzigen grünen Faserchen des Teppichs. Der da schluchzt, das
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