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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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mit einem kleinen Eisengitter und einem Mann mit Mütze und einer Fahne und dem Signalhorn in der Hand, und ich erinnere mich daran, weil er nicht zum Mittagessen gekommen und es heiß war, ein Wespennest summte in einem Loch in unserer Nähe, meine blinde Schwester und ich hockten auf dem Boden, jede mit ihrem Stück Glimmer in der Hand, das das Licht in zig kleine bunte Strahlen zerteilte, und da spürte ich plötzlich seinen Tod in meinem Blut und in der Blase den drückenden Drang zu urinieren, und als die Nachbarin mit der Schürze oben an der Gasse erschien, da wußte ich genau, welche Worte sie benutzen würde, den genauen Gesichtsausdruck, die überraschende, ölige Zärtlichkeit, mit der mit Waisen gesprochen wird, der Geruch der Armen nach wenig Wasser und Schweiß und Erde. Meine blinde Schwester begann grundlos zu weinen wie so häufig bei einem Geruch oder dem Farbton des Windes oder einer unerwarteten Kühle auf der Haut, ein leises, beinahe geräuschloses Weinen fast ohne Tränen in ihren leeren Augen. Alte Frauen starrten uns gefühllos von den Türschwellen her an, nur aus Neugier oder Gleichgültigkeit, Sie hat es schon verstanden, die Arme, erklärte die Nachbarin, und ich behaupte, daß die Häuser der alten Frauen drinnen auch alt sind, dunkel wie das Innere von Fässern, mit Bildern und Möbeln, die der geheimen Ordnung der Jahre entsprechend im Finstern verteilt sind. Die Nachbarin nahm meine Schwester auf den Arm, ohne zu verstehen, daß sie weinte, weil der waagerechte Celloton der Wespen, die kamen und gingen und am Loch übereinanderkrabbelten, verschwunden war, und ich bemerkte die Unruhe der Ziegen und der Schafe und der Kühe, die alle mit vor Schrecken runden Augen ansahen. Vor dem Haus meiner Großmutter neben dem Marktplatz, wo immer Reste von Seidenpapier herumflatterten, gegen die Stäbe der abgebauten Marktstände und die Pfeiler der Kirche flogen, sah ich Männer stehen, den Hut in der Hand, Zigaretten drehen, sah ich
eine riesige Stille im Innern der Stille der Menschen und der Bäume, sah ich Hosen und Röcke, die sich entfernten, um uns durchzulassen, brennende Talgkerzen in Untertassen auf dem Tisch und den Kommoden, die in der Nacht des Hauses tanzten, was sie im Märzmorgen des Platzes nicht gewagt hätten, und im großen Bett mit der gelben gehäkelten Überdecke unter dem verblaßten Bild eines schnurrbärtigen Mannes, der ernst auf einer Art Thron saß, sah ich meinen Vater in Jacke und Krawatte, den Rosenkranz um die Handgelenke gewickelt, das Taschentuch am Kinn festgezurrt und mit einer Münze auf jedem Augenlid, gelassener und ruhiger, als ich ihn je erlebt hatte, mit seinen Sonntagsstiefeln am Ende des Bettuches, und vielleicht jetzt endlich soweit, meinen Kopf zu berühren, sich für mich zu interessieren, mir seine Hand auf die Schulter zu legen, wenn meine Mutter oder meine Tanten oder meine Großmutter es erlaubten, denn sie hielten ihn alle, schwarz gekleidet, die Haare wirr, mit ihren Schreien und den wilden Gesten ihrer Trauer gefangen und sprangen in einem obszönen Theater des Unglücks um ihn herum. Meine blinde Schwester, die wieder auf dem Boden abgesetzt worden war, hörte auf zu weinen und ging tappend, lächelnd, mit ihren vor Freude zitternden weißen Augen zur Matratze, die Finger vorgestreckt, die wie Fühler die Luft abtasteten, bis sie wenige Zentimeter vor meinem toten Vater urplötzlich stehenblieb, bestimmt, weil sie ein anderes Aroma in der Luft erschnuppert hatte, das der Verstorbenen nach faulen Kastanien und Schlamm und Hühnerstall, und jemand hob sie dann unter den Achseln hoch und trug sie schnell auf den Platz wie ein Huhn, das zum Kehledurchschneiden in den Hof gebracht wird, der Jagdhund meines Vater begann zwischen dem Papier und dem Müll zu heulen, die der März vermischte, und meine Mutter sank, das Gesicht von einer Grimasse des Abscheus oder des Leides verzogen, vom Mitgefühl der Nachbarinnen gestützt, am Bett zusammen.
    Daß er an einem Schuß gestorben war, habe ich erst später erfahren, nach der Beerdigung, als wir alle in einer Reihe, hintereinander
durch den Ort gehend, mitten am Nachmittag nach Hause zurückkehrten, vor uns den Priester, der mit einem Steineichenzweig nach rechts und nach links Weihwasser versprengte, und da hörte ich den Knall des Schusses in meinen Ohren, und die Fasane meines Schweißes flogen in Panik auf, und die Felder meines Körpers hallten ihre Überraschung von Schweinestall zu Schweinestall

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