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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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im weinfarbenen Stall des Esels, wobei mir hin und wieder der Kot des Tieres auf die Knie fiel, auf den Rücken des Mannes, auf die Schultern, auf seinen Nacken, auf meinen Nacken, auf dem Backsteinboden der Mühle, dort oben, von wo aus man die kleine Stadt sieht und die Berge und die Felder blau und geheimnisvoll werden wie die blauen geheimnisvollen Wangen der Kranken, die jenseits der Gegenstände blicken und durch sie hindurchsehen und die relative Entfernung der Dinge umstoßen, und bis zum letzten Koitus auf der Matratze meiner Eltern, die von Mais gebläht seufzte, als würde der Wind der Dämmerung langsam im Innern des Tuches wehen, und während mein Stiefvater sich bewegte und schwer atmend in meinem Körper strandete und ich seine Beine mit meinen Beinen festhielt und seinen Leib mit den Ellenbogen und den Fingernägeln, hörte ich wieder den Knall, sah ich meinen Vater von der Kutschbank auf die Ladung Holz fallen, heftete die Augen fest an die Decke und haßte sie schweigend, grimmig, alle aus der kleinen Stadt, meine Verwandten, meine
blinde Schwester und mich selber, ich haßte mich so sehr, daß ich mir nicht einmal in der Spiegelscherbe im Wohnzimmer gegenübertrat, weil ich zornig auf das Gesicht und den Mund und die Haare war, die dort unscharf im Glas auftauchten, mir unbarmherzig mit unerträglicher Intensität meine Wut zurückwarfen. Und da fand ich befremdet heraus, daß ich zwei war, die, die ich beobachtete, und die, die mich beobachtete, die, in der ich wohnte, und die andere, in der niemand wohnte, die so anders war, als ich annahm, die ich ausspähte, und ich drehte mich um und schnell wieder zurück, versuchte sie jäh zu überraschen, wie man Menschen überrascht, die sich allein glauben und an denen wir andere Gesichtsausdrücke und Gesten als die üblichen entdecken, Gesten ohne Polizei, losgelassen und frei, und dennoch, sogar in Lissabon, sehr viele Jahre später im Haus am Vergnügungspark, traf ich auf eine angespannte, wachsame Gestalt mit gestärktem Kragen und schwarzer Tracht, die mit der gleichen verzweifelnden Langsamkeit alterte wie ich selber, weißes Haar, Falten, Adernseile am Hals, der Körper immer gebeugter, diese Gichtknoten an den Fingern und Händen und die Altersflecken, die sich vermehren und ineinander verlaufen wie eine Milchstraße aus Sommersprossen. Und ich kam nach Lissabon und habe nie wieder etwas von ihnen gehört, weil niemand mir schrieb und ich auch niemandem schrieb, nicht ans Telefon ging, als sie ein Telefon bekamen, und ich verscheuchte die Bilder des Lebens und der Leute, und wenn ich im Blut irgendeinen Tod spürte, dann vertrieb ich die Verstorbenen aus dem Sinn wie einen Jagdhund, der unerlaubt ins Haus gekommen war, sogar meine Mutter, sogar meinen Stiefvater, sogar meine blinde Schwester im Heim in Viseu, in Begleitung von Hunderten blinder Frauen, die reglos mit trüben panischen Iris auf Stühlen sitzen, auf das Abendessen warten, denn in Beira gibt es immer einen Blinden, Mann oder Frau, der sich, welchen Weg man auch einschlägt, mit dem Spazierstock in kindlicher Weisheit entlangtastet, Blinde, die in Mauernischen schlafen wie Wespen, die im Sommer auf dem Vorplatz der Kirche
hocken wie die alten Tauben auf den Simsen, Blinde mit einer rostigen Blechbüchse auf den Knien, die nicht reden, sich nicht unterhalten, nicht schreien, weder Gitarre noch Akkordeon, noch Geige spielen, und jedesmal, wenn einer von ihnen starb, machte etwas in meinem Körper einen kleinen Satz, ein Erzittern im Magen, ein Erschauern auf einem Finger, die Menstruation tropfte mir vor dem rechten Mond in die Wäsche, daher beunruhigte mich die Agonie der Blinden fast täglich, Besteck und Küchengeschirr glitten mir aus den Händen, ich kippte eine Sauciere aufs Tischtuch, und die gnädige Frau entsetzt mit zusammengezogenen Augenbrauen, Was hast du?, und ich antwortete ihr ohne Worte, Es sind die Blinden auf dem Vorplatz der Kirche, gnädige Frau, es ist die kleine Stadt zwischen zwei Gebirgen, die sich mir aus den Eingeweiden löst, das Gewirr der Gassen, die traurig sind von Fliegen und Schatten und Stille und dem sauren Geruch von Ungewaschensein, es ist der Winterwind, der seine Mähne ausbreitet, wenn er mit verhängten Zügeln durch die Kiefern eilt, und der Schnee und die Kälte und meine Großmutter, die liebevoll die Wände mit Heiligenbildchen tapeziert, es ist mein Vater, der rücklings mit ausgebreiteten Armen auf der Ladung Holz liegt, es sind alle

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