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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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der Mehrheit, verstehen Sie, unsere Regierung, und eine Viertelstunde später überprüfte ich traurig Papiere, machte Notizen, tippte, vielleicht könnte ich ja den mageren Fähnrich dort hinten gewinnen, vielleicht war ja der Oberleutnant, der hin und wieder die Glatze nach hinten beugte und in jedes Nasenloch, als würde er eine Zirkusübung machen, drei Tropfen gegen die Stirnhöhlenentzündung schüttete, kein hundertprozentiger Faschist. Denn ich glaubte noch immer, Herr Hauptmann, denn ich glaubte, Ehrenwort, noch ein paar Jahre länger daran, und jetzt, wo ich an nichts mehr glaube, woran soll man sich da bloß festhalten?
    – Monatelang, klagte der Funker, aß ich in diesen miesen Kneipen, die mir den Magen und die Eingeweide kaputtgemacht haben, in Begleitung von armen Kerlen, die, vom Blut der Hämorrhoiden und zwanzig oder dreißig Jahren Gemüsesuppe mit Bohnen
tyrannisiert, sonntags im Pyjama und mit Bartschatten im Gesicht die Blumen auf dem Balkon gossen und dabei von der absoluten Reglosigkeit der Pensionierung träumten. Am Schreibtisch sitzend, betäubt vom Schafsatem der Kollegen und ihren widerwärtigen klebrigen, trüben Schweißausdünstungen, stellte sich der Funker weite Kornfelder voller Bauern mit kriegerisch erhobener Faust vor, rauh, verantwortlich, ernsthaft, imstande, das Universum in etwas Undefinierbares, jedoch offensichtlich Großartiges zu verwandeln, etwa so, wissen Sie, wie Gelähmte sich nach einem Geschwindigkeitsrekord sehnen. Und dennoch träufelten die unausweichliche schlafwandlerische Anwesenheit des Flusses, das tägliche Hin und Her der Cacilhas-Fähren, der Schwarm der Bettler unter den Arkaden hin und wieder den November eines ätzenden Zweifels in ihn: und wenn es nun doch nicht möglich war, und wenn wir es nie schaffen würden, und wenn Onkel Marx sich nun geirrt hatte, Herr Hauptmann? An jenen Tagen kamen ihm die Flugblätter, die sie ihm gaben, damit er sie nach dem Dienst in den entvölkerten Büros verteilte, wie unbeholfene und verrückte Lügenmärchen vor, um Naive einzuwickeln, die Arbeit von Olavo, von Emílio, vom Glatzkopf erschien ihm als sinnlose Aufgabe, und er ging zu Fuß, die Hände in den Taschen, nach Hause, stolperte gegen Laternen und Leute, während die Nacht langsam in ihm herniederstieg wie in den Boulevards der Stadt, anfangs nur als vager, zögernder rosa und dunkelblauer Streifen über den Gaumen der Dächer, dann eine unmerkliche Veränderung im Farbton der Luft, und die Geräusche wurden schärfer, schriller, fester, klarer, dann fiel ein vages Halbdunkel über die Dinge wie ein sehr zarter Organzaschleier, der die Bäume und die Grate der Häuser auflöste, die Straßen verbreiterte und die Plätze vertiefte, und dann gingen die Lampen der Laternen an, Silhouetten wurden plötzlich auf dem Bürgersteig verdoppelt, vervierfacht, verfünffacht, verachtfacht, die Wohnung der Tante, der gedeckte Tisch, Esmeralda in der Küche, der Hund, der ihm die Schuhe beschnüffelte, der Flur und die unglaubliche
Menge von kleinen Heiligen aus Ton, die in frommen Haltungen ringsum das Lächeln von Zurückgebliebenen verteilten.
    – Was mir bei der politischen Arbeit am schwersten fiel, Herr Hauptmann, sagte der Funker, der den Sahnecremelöffel auf dem Tischtuch ablegte, um die Pickel am Kinn zu prüfen, war das Fehlen von Kontakten, von Freunden, die einen begleiten, Genossen, die einem eine Orientierung gaben. Jeder strampelte sich allein ab, verstehen Sie, fern von den anderen, wir sahen uns nie, redeten nie miteinander, wir konnten im Gefängnis oder tot sein, Bescheid wußte nur der Unsichtbare, Unbekannte, der uns koordinierte, wir ließen die Informationen in einem Umschlag auf dem Tresen einer Konditorei oder eines Cafés zurück, bekamen aber keine Antwort, keinen Brief, kein Zeichen, keine Stimme am Telefon, kein überzeugter, ernster Typ suchte uns mit schräg gelegtem Gesicht auf, und all das zusammen machte einen scheißeinsam.
    Er aß eilig die salzlose Meerbrasse der Diät seiner Tante zu Abend, lächelte unbestimmt, ohne etwas zu sagen, auf die Fragen der Alten, auf deren gelben Wangen harte Männerhaare wuchsen (wenn das so weitergeht, wirst du demnächst entweder zum Wildschwein, oder du stirbst, und ich muß den Fisch allein ertragen), steckte die Serviette in den achteckigen Plastikring, bat um Erlaubnis und schloß sich in seinem Zimmer ein, wo er angezogen, ohne die Schuhe aufzumachen, auf dem Bett lag, sah mit der starren

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