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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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nie verlassen, und Afrika war der Name von Flüssen, die man in der Schule auswendig lernen mußte und die man gleich wieder vergaß, um sie durch Gebirge, Grammatik und den Eisenbahnknotenpunkt der Beira Baixa zu ersetzen. Ich schaute die Leute an, Herr Hauptmann, die Sekretärinnen, die Kollegen, die Angestellten, die Laufburschen, bearbeitete Anträge, blätterte in Angeboten, unterzeichnete Berichte und dachte, Selbstverständlich war ich gestern auch hier, was für einen Scheiß hab ich denn bloß getrunken, daß ich heut nacht so viele Träume hatte?
    Der Onkel trat aus dem Lager, indem er ihn vor sich herschob und ihm den zornigen, mühsamen Fischatem in den Rücken pustete, und trieb ihn auf dem Bürgersteig entlang (Gemüsekarren, Blumenkörbe, Fenster im Erdgeschoß, auf der Fensterbank Tratschweiber mit Murmelaugen) bis zu einem Eckschild, das aus den Angeln geraten an seiner Eisenstange schaukelte: zwei Stufen, feuchtes Halbdunkel, das nach Gekochtem roch, Tische mit Papiertischtüchern,
ein brüllendes Radio und hinten, am Ende des Raumes, hinter dem Tresen, mit wachsamem Hals ein Typ, der die verchromten Hebel der Kaffeemaschine rauf- und runterdrückte. Der Onkel hob den Arm, und ein zweiter Kerl legte Gabeln und Messer auf das Tischtuch, die so krumm waren, als hätte ein Maultier Minuten zuvor darauf herumgetrampelt, Teller mit angestoßenem Rand, einen Krug Wein, zwei Gläser, Brot, ein dreieckiges Zahnstocherbehältnis aus Plastik. Aus der Diensteifrigkeit des Kellners schloß der Soldat, daß der Alte und er sich kannten.
    – Ich esse nichts, schnaufte der Onkel. Und für den Jungen hier ein Steak vom leprakranken Esel.
    Man konnte die Gäste im Dunkel der Taverne schlecht erkennen (Damit die nicht sehen, was für einen Mist sie schlucken, hauchte Senhor Ilídio mit einem grimmigen Kichern), gebeugte Gestalten, das Kratzen von Besteck, die undeutliche, von aufeinanderfolgenden Spiegelungen in den Fliesen verteilte Helligkeit des Herdes. Der Alte ließ ein Streichholz von einem Mundwinkel in den anderen wandern, während er eilig das Fleisch, die Kartoffeln, das Ei, das dicke Brötchenschiff kaute, doch das Mittagessen rutschte fast unzerstört durch die Regenrinne der Speiseröhre.
    – Die Rechnung
    verlangte der Onkel, während er die Schatten ringsum mit ärgerlichem Sarkasmus betrachtete. Draußen auf der Straße rann der regnerische März des Vortages an den altersschwachen Fassaden herunter wie die Schminke an einer weinenden Greisin.
    – Wir kehrten in das winzige Büro zurück, erklärte der Soldat, er saß auf einem gesprungenen, quietschenden Stuhl, und ich stand so reglos wie möglich vor dem Schreibtisch, Herr Hauptmann, um nicht einen Fünfhundertblattstapel all dieser Papiere, dieses ganzen Mülls umzuwerfen.
    (Der Onkel hörte ganz und gar auf, den Soldaten zu bemerken, reihte nachdenkliche Striche auf der Rückseite einer entsetzlich schmutzigen Rechung auf, und plötzlich spähte er mit den
listigen Augen zu ihm rüber und erklärte mit entschiedenem Wispern
    – Worauf wartest du noch, du Dummkopf, du hast eben gerade angefangen zu arbeiten.)
    – Am schwersten ist es mir zu Hause gefallen, sagte der Leutnant. Ich kam aus der Bank, aber da fühlte ich mich wirklich fremd, Herr Hauptmann. Nicht bei der Arbeit, nicht im Restaurant, nicht in der Stadt, im Wagen, vielleicht weil ich die Musik so laut anstellte, wie es ging, und die Reklame und die Stimme des Sprechers mich zerstreuten, und dann, Sie wissen ja, wie das ist, wenn man fährt, will man nur nicht den Vordermann anfahren und nicht vom Hintermann angefahren werden, und dann sind da die Leute auf den Bürgersteigen, all diese Gesichter, die immer rennen und wechseln, von denen keines dem anderen gleicht, doch dann parkte ich den Wagen, stieg die Treppe hinauf, steckte den Schlüssel ins Schloß, und da war es wieder und wischte mir eins aus, dieses übliche, merkwürdige Gefühl: Ich schaute die Tische, die Borde, die Aschenbecher an und fragte mich selber, Wo zum Teufel sind die Bäume geblieben, warum sah ich die Bäume nicht, verstehen Sie, den Stacheldraht, die Unterstände, den Busch, ich stellte die Aktentasche ab, fiel mit der Zeitung aufs Sofa, meine Frau erschien lächelnd, und ich beugte mich in der Hoffnung vor, daß aus ihrem Schatten ein vertrautes Profil im Kampfanzug auftauchte.
    – An jenem Abend mußte ich mit ihm essen, erzählte der Soldat. Er hat mich nicht eingeladen. Er hat es mir befohlen, Herr

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