Fado Alexandrino
Tauben machte den zarten dunklen Farben der Dämmerung Platz, höchstens fünfzig oder hundert Meter weiter gingen die Leute von der Arbeit nach Hause, und ich hier, Straßenbahn, Zeitung, Abendessen, jede Menge Familien, die sich bei Tisch haßten, die Alten wisperten mindestens den zehnten Rosenkranz, ängstlich, voller Sorgen, ruhelos, die Tante versuchte vergebens schreiend am Telefon mit einem Verwandten zu reden, der Abteilungsleiter im Ministerium war und, wie sie sich einbildete, viel über die Polizei wußte, das Riesenrad begann sich langsam zu drehen, die Tiere des Achterkarussells erschienen und verschwanden unter lärmender Musik und Gelächter, der Geruch nach Brathähnchen und gegrillten Sardinen schwebte kompakt im Wohnblock, jetzt war die Dachluke stockfinster, ein winziger Stern, und unvermittelt eine sehr schwache Neonbirne hinter einer undurchsichtigen Platte in einer unerreichbaren Ecke, Ich habe Hunger, und nicht einmal das Geräusch von Schritten, von Leuten, ein Atmen neben ihm, essen, Fisch kauen, Fleisch kauen, Obst kauen, einen Suppenkessel Gemüsebrühe wegschlucken, unter der Leitung der Arbeiterklasse und ihrer klügsten und mutigsten Vertreter werden wir in Portugal ein Vaterland der Gleichheit und des Sozialismus bauen, Ich kenne die Organisation nicht, ich kenne Olavo nicht, ich kenne Dália nicht, ich kenne den Glatzkopf nicht, ich weiß überhaupt nicht, worüber Sie da reden, ich bin Offizier des Heeres und verlange die volle Wahrung meiner Rechte, ich weiß nichts von Bomben, weiß nichts über Waffen, weiß nichts über geheime Flugblätter, ich werde zum Abendessen erwartet, und es ist schon sehr spät, er schlug den Jackenkragen hoch, schmiegte die Beine an den geschwollenen Bauch, der wahre Kommunist muß in widrigen Zeiten stark sein, Es ist nur eine Frage der Zeit, hatte sie gesagt, in Kürze werden sich große Dinge vorbereiten, Eine Kohlsuppe zum Beispiel, nur
einen Löffel Kohlsuppe, und draußen, jenseits der Tür, Geräusche von Schuhsohlen, Schlüssel, die sich schüttelten, Dialoge unterschiedlicher Stimmen, ein weit weg gerufener Witz, die über ihre Schwerhörigkeit verzweifelte Tante brüllte ihre Klagen ins Telefon, der Riegel öffnete sich, eine breite Silhouette erschien im Gegenlicht auf der Schwelle, der schwerfällige Humor des Glatzköpfigen, Na, wollen wir uns mal unterhalten, Fidel?, die Blase leerte sich wie ein Reifen mit einem Loch, und seiner Kontrolle entglitten, begann ein reißender, wilder, katastrophischer, komischer, heißer Urinstrahl unbezwingbar an den Beinen herunterzulaufen.
– Sind Sie schon mal zu einem Verhör gerufen worden, Herr Hauptmann, fragte mich der Funker, während er sich vorsichtig, mit der langsamen Geste eines Uhrmachers, die der Wein noch aufgeblasener und langstieliger machte, die Brille auf die Nase setzte. (Und ich dachte, Wieviel Wein hat der Typ denn schon weggenuckelt, wie blau ist der eigentlich? Ein betrunkener Exrevolutionär, der von der Revolution redet, ist schlimmer als ein ehemaliger Pater, der über den Vatikan herzieht.) Ich schwöre Ihnen, in diesem Haus am Chiado verbrachte man ein paar Scheißaugenblicke. Ich bin nach dem 25. April dienstlich dort gewesen, und alles kam mir klein, harmlos, provinziell vor, eine Art Geisterbahn am Tag, weit offen und lächerlich. Vielleicht war das ja schon vor dem Staatsstreich so, vielleicht war das ja nur dazu da, solchen Naivlingen wie mir angst zu machen, aber ich kann Ihnen versichern, daß man dort eine ganz schön miese Zeit verbringen konnte. Ich habe Prozesse gegen eine Reihe Agenten, Inspektoren, Informanten, Wärter geführt und fragte mich immer, wenn die Typen mit dem Arsch auf Grundeis vor meinem Schreibtisch saßen, Wie konnte ich vor diesen Typen bloß Angst haben, wie ist es möglich, daß mich ein halbes Dutzend Kretins derart in Angst und Schrecken versetzen konnte? Hatten Sie, Herr Hauptmann, nicht auch Schiß vor denen?
Die Pisse klebte ihm die Hosen an die Beine und behinderte seine Bewegungen, zwang ihn, mit kleinen Schritten wie in einem
engen Rock neben dem glatzköpfigen Chef herzulaufen (der wahre Kommunist muß in widrigen Zeiten stark sein, der wahre Kommunist muß in widrigen Zeiten stark sein, der wahre Kommunist muß in widrigen Zeiten stark sein), zuerst durch einen Flur, der sehr viel länger war als der in der Wohnung seiner Tante, nur ohne Läufer, ohne Hausaltäre, ohne den Geruch nach Verbranntem aus den Öllampen der Heiligen,
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