Fächergrün
hier in der Lachnerstraße gewohnt. Direkt im Haus der Maiwalds … Moment, die Frau heißt … ja, hier steht’s … Antonia Krauss, Krauss mit zwei s am Ende. Nein, nicht hinfahren, aber Adresse, Personalien, Arbeitgeber und so weiter. Alles, was du halt über die beiden so rausbringen kannst … Was, ob das heute noch?« Der Kommissar schaute auf seine Uhr. »Natürlich, warum fragst du? Weißt du, wie mein früherer Chef immer gesagt hat? … Ja, genau der, der alte Kopp … Feierabend ist, wenn Arbeit fertig, nicht, wenn Zeit fertig. Also los. Paul und ich sind ja schließlich auch noch dran.«
»Ich weiß nicht, was der die ganze Zeit macht dort im Präsidium«, sagte Lindt. »Ein Testament konnte er bisher nicht auftreiben, mit der bankrotten Neudorff ist er nicht weitergekommen und jetzt will er nach Hause. Dabei ist es erst mitten am Tag.«
Paul Wellmann antwortete nicht, aber er schielte zur Maiwald’schen Wanduhr. Sie zeigte zehn vor sechs.
Erst knappe zwei Stunden und 20 Ordner später ließ sich Lindt erweichen. »Hör auf, alle paar Minuten auf die Uhr zu schauen, Paul. Ich hab’s verstanden. Machen wir morgen weiter.« Er wedelte mit zwei Papierstreifen. »Die müssen wir wenigstens noch anbringen.«
Schnell klebten sie die amtlichen Siegel über Büro- und Wohnungstür und verabredeten sich, am kommenden Morgen die Aktenberge weiter zu durchforschen.
6
Ein merkwürdiges Gefühl plagte Oskar Lindt auf der Heimfahrt. Irgendetwas stimmte nicht an diesem Fall. Hatten sie etwas übersehen? Etwas, das direkt vor ihrer Nase lag?
Sicher, es gab mittlerweile zwei Personen mit einem möglichen Motiv, und die Recherchen von Jan Sternberg würden sie bestimmt weiterbringen. Hunderte von Fällen hatte er mit seinem Team durch akribisch genaues Puzzeln gelöst, aber hier war es anders. Sein Bauch sagte es ihm, sein Inneres, sein Unterbewusstes.
Die Gedanken kamen sehr massiv über ihn, raubten ihm gefährlich die Aufmerksamkeit für den Straßenverkehr. Am Adenauerring fuhr er bei Dunkelrot über eine Ampel, ohne es wahrzunehmen, und entging nur dank einer Verkehrslücke einem Crash. In der Theodor-Heuss-Allee walzte er ein Eichhörnchen platt, ohne es zu merken, obwohl er auf diese Lieblinge seiner Waldspaziergänge normalerweise besonders achtgab. Erst der Ruck, mit dem er am geschlossenen Garagentor zum Halten kam, holte den benebelten Kommissar in die Realität zurück.
»Was war denn das?«, kam Carlas Stimme vom Balkon, doch Lindt knurrte nur gereizt nach oben: »Hat sich mir in den Weg gestellt.« Erst danach betrachtete er die großflächige Beule im Blech des Tores und die Kratzer an der Stoßstange des Citroën. Kopfschüttelnd ging er zur Haustür. Irgendetwas passte nicht.
»Die Maiwalds? Stimmt’s?« Carla traf wie immer den Nagel auf den Kopf. »Komm in die Küche. Du brauchst Ablenkung.«
Sie warf ihm die schwarze Kochschürze mit dem aufgedruckten Polizeistern zu und deutete auf das Schneidbrett, eine Zwiebel und die Knoblauchknolle. »Schön fein, keine so groben Stücke.«
Auch eine Möhre und etwas Bauchspeck landeten auf seinem Brett, solange Carla an der Spüle den Salatkopf putzte.
»Ein neues Rezept?«
»Sauce bolognese alla contessa.«
»Aus dem da?« Oskar zeigte auf das schmale grüne Rezeptbuch – ›Original italienische Küche‹ –, das er vor Kurzem von Freunden geschenkt bekommen hatte.
»Müssen wir doch ausprobieren, soll allerdings ein paar Stunden lang kochen.«
»Egal, vielleicht komme ich beim Soßerühren darauf, was mich grad so beschäftigt.«
»Wieder mal ein komisches Gefühl?« Carla kannte die Gemütslagen ihres Oskar recht genau.
»Da ist was, direkt vor meinen Augen, aber ich kann es nicht sehen. Nichts zu erkennen, wie Nebel um meinen Kopf.«
»Dann ist ja klar, warum du das Garagentor nicht sehen konntest. Nebel, dichter Nebel, wahrscheinlich Londoner Nebel, und Jack the Ripper schleicht im Kreis um Scotland Yard und um dich herum. Jetzt konzentrier dich auf das Gemüse und schneid es nicht zu grob, sonst wird die Soße so bollig!«
Lindt riss sich kurz zusammen, doch schon bald drifteten seine Gedanken wieder ab: »Ob die Maiwalds wohl mit ihrem Leben zufrieden waren?«
»Leg doch endlich ’ne andere Platte auf, Oskar. Das, was wir hier machen, nennt man Kochen, nicht Ermitteln.«
»Wahrscheinlich muss meine Maiwald-Soße auch noch längere Zeit kochen, um das richtige Aroma zu entwickeln.«
»Kennst du denn alle
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