Fächergrün
die zwei immer da, wo sie nicht sein sollten. Im Keller, im Treppenhaus, im Hof, sogar im Schuppen, als der mal aus Versehen offen stand. Überall haben sie was angestellt, was umgestoßen, ramponiert, beschädigt, zerstört. In der Wohnung sah es aus.«
»Warst du drin?«
»Der Anton hat mich geholt wegen der Schäden. Die Wände beschmiert, Türen und Parkettboden, alles voller Macken. Der Alte hat echt die Nerven verloren und gebrüllt.«
»Dann?«
»Hat die Frau die Streife geholt, und deine Kollegen, Oskar, haben dem Vermieter nachdrücklich erklärt, dass er sofort die Wohnung dieser Familie zu verlassen hätte.«
»Das hatte sicherlich ein Nachspiel.«
»Klar, Kündigung natürlich, aber dass die nicht freiwillig ausgezogen sind, kannst du dir ja denken.«
»Eine Familie mit Kindern kriegt heutzutage kein Vermieter mehr raus«, meinte Paul Wellmann. »Da kann der sich auf den Kopf stellen, nichts zu machen.«
»Dann kam die Räumungsklage?«, wollte Lindt wissen.
»Die Maiwalds waren ja eigentlich verträgliche Menschen, aber da haben sie echt rotgesehen und alle Hebel in Bewegung gesetzt. Einen schlauen Anwalt geholt und der hat auf Eigenbedarf geklagt.«
»Was? Eigenbedarf? Wie soll denn das gehen?«
»Oskar«, sagte Otto Stoll, »anders hätten die echt keine Chance gehabt. Der Anton hat die Wohnung für sich beansprucht.«
»Nachdem er jahrzehntelang mit seinem Bruder hinter derselben Tür zusammengewohnt hat? Wer soll so was glauben?«
»Das Gericht hat’s ihm jedenfalls abgenommen und so kam’s schließlich zur Zwangsräumung. War erst vor einem halben Jahr.«
»Mit Polizei?«
»Ging wohl nicht ohne. Meine Frau hat’s mitbekommen, ein echtes Drama. Der Vater der Mädchen hat den Maiwalds angeblich mit zornesrotem Gesicht und erhobener Faust gedroht. Das haben alle im Haus mitbekommen.«
»Weiß man, was er konkret von sich gegeben hat?«
»Ich müsst meine Frau fragen, aber wenn ich mich richtig erinnere, hat der ziemlich wüst rumgebrüllt. ›Das werdet ihr mir noch büßen‹, ›teuer bezahlen‹ und so was in der Art.«
»Wo sind die dann hingezogen?«
»Das weiß keiner. Man hat sie nie wieder hier gesehen.«
»Hmm?« Die Kommissare schauten sich an. Die Frage war auch ohne Worte klar: Reicht das für ein Motiv?
Lindt beschloss, das Thema zu wechseln, lehnte sich zurück, stopfte eine Pfeife und plauderte lieber mit seinem früheren Nachbarn über die alten gemeinsamen Zeiten als über das Grausame, was gegenüber geschehen war.
Nachdem Stoll schließlich aufgebrochen war, meinte der Kommissar: »Otto, ich glaube, in der nächsten Zeit werden wir uns wieder öfter sehen.«
»Verdächtig?«, fragte Paul Wellmann.
Lindt war unsicher. »Bringt man jemanden um, weil man aus der Wohnung fliegt? Ich weiß nicht … Aber anschauen werden wir uns diesen Kerl und seine Familie auf jeden Fall.«
Zurück im Haus der Maiwalds trafen Lindt und Wellmann im Treppenhaus auf den KTU-Chef.
»Ludwig, wie weit seid ihr? Können wir ins Büro?«
»Dort ist Klarschiff. Wollt ihr euch die ganzen Akten vornehmen? Dann viel Spaß. Das dauert Tage.«
»Du kannst sie uns auch ins Präsidium bringen.«
»Nee, nee, bleibt lieber hier. Ihr beiden könnt glatt als die leicht verjüngte Form der Maiwald-Brüder durchgehen. Und so schön wie in diesem Büro habt ihr es zwischen den Spanplattenmöbeln im Präsidium bestimmt nicht.«
Also richteten sich die zwei Kommissare zwischen goldbraunem Eichenholz und dunkelgrünem Leder ein und begannen, sich ein klein wenig wie die steinreichen, alten Brüder mit ihren 17 Häusern und
188 Wohnungen zu fühlen.
Zuerst traute sich Lindt nicht so recht, aber nach einer halben Stunde suchte er sich in der Küche eine kleine Porzellanschüssel, um sie als Aschenbecher zu verwenden, öffnete die Fenster und drückte zerkrümelten Navy Flake in den voluminösen Kopf einer großen, gebogenen Pfeife.
»Ohne Inspirationshilfe finden wir ja doch nichts«, kommentierte er den Blick seines Kollegen. »Und außerdem können sich die Maiwalds ja nicht mehr daran stören.«
»Die Brüder nicht, aber sehr wahrscheinlich die Erbin im grünen Gewand«, lächelte Wellmann nachsichtig und blätterte weiter in dem grünen Ringordner, den er gerade bearbeitete.
»Hier, ich hab was«, sagte Lindt, griff nach seinem Handy und tippte die Kurzwahl von Sternbergs Büroapparat. »Jan, versuch doch mal, einen Maximilian Schneeberger zu finden. Hat bis vor ein paar Monaten
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