Fächerkalt
1
Der Mann roch ungewaschen. Lag es
an Schweiß, Rauch, faulen Zähnen oder vier Wochen lang getragenen Socken? Muffig
nannte Carla diesen Geruch. Muffig wie das Zimmer, in dem ein ungepflegter alter
Mann seine letzten Jahre verbringt. Muffig, dieser Ausdruck seiner Frau kam Oskar
Lindt sofort in den Sinn, als der schlanke Typ mit den nassen, recht langen dunklen
Haaren auf dem Gang des Karlsruher Polizeipräsidiums an ihm vorbeiging und eine
üble Duftwolke nach sich zog.
Der Kommissar
blieb stehen und schaute ihm hinterher. Einer, der auf der Straße lebte? Die Kleidung
sah nicht danach aus, der Geruch hingegen war eindeutig. Anscheinend wusste er,
wo er hinwollte, denn der Mann ging zielstrebig in die Richtung, aus der Lindt gekommen
war. Sicherlich hatte man ihm an der Pforte die richtige Zimmernummer genannt.
Oskar Lindt
rümpfte die Nase und ging weiter. Langsam und nachdenklich, kein leichter Gang,
denn er war auf dem Weg zum Leiter der Kriminalpolizei.
Sein Mitarbeiter
Jan Sternberg sollte eine Rüge erhalten, eine schriftliche Missbilligung, wie das
in Beamtendeutsch genannt wurde. ›Er trägt sein Herz halt auf der Zunge‹, wollte
er dem Kriminaldirektor gleich unter vier Augen sagen, um damit die bekannt vorlaute
Art des jungen Beamten in einem etwas milderen Licht erscheinen zu lassen.
»Seine Arbeit
ist hervorragend«, stellte der Hauptkommissar dann im Gespräch fest. »Viele unserer
Ermittlungserfolge wären ohne Jan gar nicht möglich gewesen.« Er schob dem Gegenüber
eine Zusammenstellung hin, an der er einen halben Tag gearbeitet hatte. »Eigentlich
ist er ein Aufstiegskandidat.«
Kripochef
Rainer Beck, ein Jurist, der seit Längerem mit einem Karrieresprung an das Innenministerium
nach Stuttgart liebäugelte und deutlich jünger war als sein altgedienter Kommissar,
schob das Papier zur Seite, ohne es eines Blickes zu würdigen.
»Kommissarlehrgang?
Mit einem solchen Benehmen? Lindt, ich bitte Sie! Undenkbar! Wie viele Jahre versuchen
Sie schon, diesem Sternberg Manieren beizubringen?«
»Er hat
sich bereits deutlich gebessert. Manchmal gehen halt einfach die Pferde mit ihm
durch.«
»Eben! Und
deshalb braucht er an den gehobenen Dienst nicht mal im Traum zu denken. Wer zu
einer Kollegin sagt, sie wäre zu Hause am Herd besser aufgehoben als bei der Drogenfahndung,
der weiß einfach nicht, was sich gehört.«
»Ich habe
ihn noch am selben Tag ordentlich in den Senkel gestellt. Danach hat er sich umgehend
bei ihr entschuldigt. Genügt das denn nicht?«
»Es ist
ja nicht das erste Mal, dass bei Ihrem Mitarbeiter die Zunge schneller war als der
Kopf.« Beck begann in der Personalakte zu blättern, die er vor sich liegen hatte.
»Gerade mal ein halbes Jahr ist es her, da hat er die Verkehrspolizei als ›unfähige
Pennertruppe‹ bezeichnet.«
Lindt wurde
rot im Gesicht. »Wenn man bedenkt, was die sich damals erlaubt haben. Wir geben
das Fahrzeug zur dringenden Fahndung raus und die Herren mit den weißen Mützen winken
einfach durch. Hat mich sehr empört.«
»Sie haben
sich allerdings trotzdem nicht so abfällig über die Kollegen geäußert.«
»Wenn Sie
wüssten, was ich alles runtergeschluckt habe!«
»Lindt!«
Der Kriminaldirektor bekam einen stechenden Blick. »Ich weiß, dass dieser Sternberg
quasi Ihr Ziehsohn ist und dass Sie sich wie immer in Ihrer vollen Breite schützend
vor ihn stellen.«
Lindts Gesichtsfarbe
wechselte ob dieser Anspielung auf seine füllig gewordene Figur schlagartig auf
dunkelrot.
Beck ließ
sich davon nicht im Geringsten beeindrucken und fuhr fort: »Meine Geduld ist wirklich
groß, sehr groß, aber ich verlange ein Mindestmaß an Disziplin von meinen Mitarbeitern.
Wer immer wieder dagegen verstößt, hat mit entsprechenden Konsequenzen zu rechnen.«
Er klopfte mit dem Zeigefinger auf den Ordner, der vor ihm lag. »Deshalb kommen
wir nicht mehr umhin, Sternberg hier drin einen Eintrag zu verpassen.«
»Er wird
das sicherlich rechtlich prüfen lassen«, meinte Lindt, doch Rainer Beck verzog nur
verächtlich das Gesicht.
»Den Kollegen
möchte ich sehen, der ihn da raushaut. Jeder Anwalt, der was taugt, wird Ihrem Assistenten
zuerst mal ordentlich die Leviten lesen.«
»Hab ich
doch selbst schon getan und er hat wirklich Besserung gelobt.«
»Wenn längere
Zeit nichts mehr vorfällt, kann er die Sache ja löschen lassen.« Beck erhob sich
und signalisierte so das Ende des Gesprächs. »Sagen Sie es ihm klar und deutlich:
Beim nächsten Vorfall
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