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01 Nightfall - Schwingen der Nacht

01 Nightfall - Schwingen der Nacht

Titel: 01 Nightfall - Schwingen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian Phoenix
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EINE STIMME FÜR DIE TOTEN
    Der süßliche Geruch von Blut und Geißblatt hing wie fauliger Rauch im feucht-dunstigen Innenhof. Eine nackte Gestalt lag zusammengerollt an einer efeubewachsenen Steinmauer, die gefesselten Hände wie die eines schlafenden Kindes unter dem Gesicht gefaltet – eine Geste, die im krassen Gegensatz zu dem geschwollenen, geschundenen Antlitz des Mannes stand. Ein schwarzes Netzhemd war um seinen Hals gewickelt, und Blut sammelte sich um seinen Körper. Schimmerte auf der Haut und dem Steinboden.
    An der Wand über ihm stand in Blut geschrieben:
    WACH AUF
    Heather Wallaces Muskeln, die von dem langen Flug aus Seattle bereits verkrampft waren, spannten sich noch mehr an. Die Botschaft war eine verstörende Neuerung, falls es sich tatsächlich wieder um eine Tat des Cross-Country-Killers handelte. War es eine Warnung? Eine Aufforderung? Oder ein düsterer, zynischer Scherz auf Kosten seines sterbenden Opfers?
    Heather holte tief Luft und trat aus der Hintertür von Da Vincis Pizza in den im Schatten liegenden Hinterhof. Sie umrundete behutsam die mit Nummern versehenen Beweisstücke, die auf dem alten Steinboden verteilt lagen.

    »Daniel Spurrell. Alter neunzehn«, sagte Detective Collins, der gerade unter die Tür getreten war. »Aus Lafayette. Student an der LSU. Vor drei Tagen verschwunden. Wurde um etwa zwölf Uhr mittags von einem Angestellten im Innenhof entdeckt.«
    Woanders gefoltert, dann hier abgelegt, dachte Heather. Warum gerade hier?
    Altmodische Gaslaternen tauchten den Hof in ein fahles, flackerndes Licht. Außer dem Blutgestank nahm Heather einen Hauch von Jasmin und Efeu wahr, kraftvoll und immergrün, ein weißblütiges Aroma, das den Geruch des Todes nicht zu verdecken vermochte.
    Seit drei Jahren folgte sie nun schon der Spur des CCK. Trotzdem wurde es nicht leichter, seine Opfer zu sehen.
    Sie kniete sich neben das, was von Daniel Spurrell übrig geblieben war. Gepeinigt. Geschändet. Inszeniert. Das jüngste Opfer eines durchs Land wandernden sexuellen Sadisten.
    Eine dumpfe, aber heftige Erschütterung drang durch eine weitere Tür an der Hinterhofmauer und kroch Heathers Rückgrat hinauf. »Was ist auf der anderen Seite dieser Mauer?«, fragte sie den Detective, den Blick weiterhin auf Daniels gequetschtes Gesicht gerichtet.
    »Club Hell«, antwortete Collins. »Ein Musikschuppen. Bar und so.« Er hielt inne und fügte hinzu: »Außerdem ein Treffpunkt für Vampire. Für solche, die so tun als ob. Sie wissen schon.«
    »Meinen Sie Goths? Oder Gamer?«
    Collins lachte. »Das müssen schon Sie mir sagen. Klingt, als würden Sie sich in dieser Szene ganz gut auskennen.«
    »Meine Schwester war mal Sängerin einer Band«, meinte Heather. »Auf ihren Konzerten habe ich alle möglichen Typen getroffen.«
    Langes, blauschwarzes Haar verschleierte das Gesicht des Jungen. NightGlo, dachte Heather. Eine Farbe, die Annie oft
benutzt hatte, wenn sie und WMD mit ihrem Hardcore-Punkrock auf die Bühne gestürmt waren. Das war, bevor sich die manisch-depressive Annie bei einem aufsehenerregenden Zusammenbruch während eines Konzerts vor den Augen des Publikum die Pulsadern aufgeschnitten hatte.
    Heather konzentrierte sich auf das Zeichen auf der Brust des Jungen – ein Zeichen, das ins Fleisch geschnitten oder gebrannt worden war. Sie beugte sich weiter vor. Verkohlte Haut. Brandblasen. Eine Reihe von Kreisen – hatte der CCK etwa einen Zigarettenanzünder benutzt?
    Das Symbol für Anarchie.
    Eiseskälte ließ Heather das Blut in den Adern gefrieren. Das Symbol war auch neu. Wenn das hier tatsächlich ein weiteres Werk des Cross-Country-Killers sein sollte, dann hatte sich seine typische Signatur, sein Grund für die Morde von der bisherigen Suche nach einsamer Intimität – die letzten verzweifelten Momente seines Opfers gehörten schließlich allein ihm – in den Wunsch nach einer öffentlich wahrgenommenen Tat verwandelt. Er schien plötzlich geradezu um Aufmerksamkeit zu buhlen.
    Undenkbar. Theoretisch. Aber falls sich der Antrieb wirklich geändert hatte, was dann?
    Dann musste sie den Grund dafür finden.
    Heather musterte Daniels Gesicht, das blauschwarze Haar, den Netzstoff, der eng um seinen Hals gewickelt war. Sie atmete den noch immer in der Luft hängenden Geruch des Todes ein und versuchte, ihn zu schmecken.
    Warum du? Bewusst ausgesucht? Oder zur falschen Zeit am falschen Ort … und warum gerade hier?
    Sie glaubte, die Stimme ihres Vaters zu hören, tief und

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