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Fahrenheit 451

Fahrenheit 451

Titel: Fahrenheit 451 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Ungehaltenheit berührte sie überhaupt nicht. »Das macht fünfzig Dollar.«
    »Zunächst mal, warum sagen Sie mir nicht, ob sie davonkommt?«
    »Natürlich kommt sie davon. Das üble Zeug haben wir alles hier in unserem Koffer, das kann ihr nichts mehr anhaben. Wie gesagt, man holt das Alte heraus und tut das Neue hinein, und alles ist wieder in Ordnung.«
    »Keiner von Ihnen ist Arzt. Warum hat man vom Spital nicht einen Arzt geschickt?«
    »Ach was!« Die Zigarette wippte auf den Lippen des Mannes. »Neun oder zehn solche Fälle kriegen wir jede Nacht. Als das vor ein paar Jahren anfing, haben wir die Spezialapparatur bauen lassen. Das Elektronenauge, das war natürlich neu, alles andere ist uralt. Da braucht man keinen Arzt dazu, zwei Gehilfen genügen, die schaffen's in einer halben Stunde. Also« – er wandte sich zum Gehen – »wir müssen weg. Bekam soeben einen Anruf auf der guten alten Ohrkapsel. Zehn Häuser weiter. Schon wieder jemand, der sich an Pillen übernommen hat. Rufen Sie an, wenn Sie uns wieder mal brauchen. Sorgen Sie für Ruhe. Wir haben ihr ein Kontrasedativ gegeben. Sie wird Hunger haben, wenn sie aufwacht. Wiedersehen.«
    Und die Männer mit den Zigaretten zwischen den schmalen Lippen, die Männer mit den Augen von Puffottern luden sich Gerät und Schlauch auf, den Behälter mit dem flüssigen Lebensüberdruß und dem namenlosen dunklen zähen Zeug, und schlenderten zur Tür hinaus.
     
    Montag sank auf einen Stuhl und schaute diese Frau an. Die Augen hatte sie jetzt geschlossen, und er streckte eine Hand aus, um die Wärme ihres Atems auf seine Handfläche zu spüren.
    »Mildred«, sagte er schließlich.
    Es gibt zu viele Menschen, dachte er. Milliarden gibt es von uns, und das ist zuviel. Niemand kennt den anderen. Unbekannte kommen und vergewaltigen dich. Unbekannte kommen und reißen dir das Herz aus dem Leib. Unbekannte kommen und zapfen dir das Blut ab. Du mein Gott, wer waren die beiden eigentlich? Ich habe sie in meinem Leben noch nie gesehen.
    Eine halbe Stunde verging.
    Der Blutkreislauf in der Frau war neu und schien eine Veränderung in ihr bewirkt zu haben. Ihre Wangen waren rötlich angehaucht, ihre Lippen zeigten eine frische Farbe und sahen weich und entspannt aus. Das Blut eines andern Menschen war in ihr, wenn es nur auch das Fleisch und Gehirn und Gedächtnis eines andern wäre. Wenn man nur ihr Gemüt hätte chemisch reinigen lassen können, um es am nächsten Morgen mit ausgeräumten Taschen neu aufgebügelt wiederzuerhalten. Hätte man nur ...
    Er erhob sich, zog die Vorhänge auf und öffnete das Fenster weit, um die Nachtluft hereinzulassen. Es war zwei Uhr früh. War das erst vor einer Stunde gewesen, Clarisse McClellan auf der Straße und die Heimkehr und das finstere Zimmer und das Glasfläschchen, das er mit dem Fuß weggestoßen? Erst vor einer Stunde noch. Aber die Welt war zerschmolzen und in einer neuen und farblosen Form wiedererstanden.
    Gelächter kam über den mondbeglänzten Rasen herübergeweht von dem Haus, wo Clarisse wohnte mit ihren Eltern und dem Onkel, der ein so stilles und besinnliches Lächeln hatte. Vor allem war nichts Krampfhaftes an dem Gelächter, das von dem nächtlicherweile so hell erleuchteten Haus kam, während alle andern Häuser sich im Dunkeln abkapselten. Montag vernahm Stimmen, die mit ständigem Geben und Nehmen das Gewebe des Gesprächs wirkten.
    Unwillkürlich trat er zur Glastür hinaus und ging über den Rasen, bis er im Schatten vor dem gesprächigen Haus stand. Der Gedanke kam ihm, er könnte anklopfen und leise sagen: »Laßt mich ein. Ich werde mich still verhalten, ich will nur zuhören. Worüber unterhaltet ihr euch?«
    Statt dessen stand er da und fror, seine Miene eine Maske aus Eis, und lauschte der Stimme eines Mannes (des Onkels?), die sich gemächlich erging.
    »Schließlich leben wir in einer Zeit der Taschentücher zum Fortwerfen. Putz dir an einen Menschen die Nase, zerknüll ihn und spül ihn weg, nimm dir einen andern, putz ab, zerknüll, spül weg. Jeder bediene sich der Rockschöße des andern. Wie soll einer der ortseigenen Mannschaft zujubeln, wenn er kein Programm hat und keine Namen kennt? Er weiß nicht einmal, was für Trikots die Leute tragen, wenn sie auf den Spielplatz hinaustraben.«
    Montag kehrte ins Haus zurück, ließ die Fenster offen, sah nach Mildred, stopfte die Decken behutsam um sie fest und legte sich dann hin, den Mond auf den Backenknochen und der gerunzelten Stirn, und in jedem

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