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Falkengrund Nr. 29

Falkengrund Nr. 29

Titel: Falkengrund Nr. 29 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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mir?“
    Isabel zögerte. Wie immer trug sie schwarze Kleidung. Heute hatte sie ihr Gesicht besonders weiß geschminkt, wie ein Pierrot beinahe. Mit dem Silberschmuck, den sie in glänzenden Reihen am Körper trug, mochte sie der nahezu Blinden wie ein fantastisches leuchtendes Skelett erscheinen. Ihre dunklen Augen beobachteten aufmerksam Margaretes Miene, hingen an ihren Lippen. „Niemand von den anderen weiß, wie du dich fühlst“, sagte sie schließlich unendlich langsam. „Niemand.“
    Margarete tastete neben sich und zuckte doch zurück, als sie das kalte, glatte Leder erreichte, in das Isabel ihre Beine gezwängt hatte. „Da hast du recht.“
    „Trauer ist individueller als Freude“, erklärte Isabel ernst. „Jeder trauert anders.“
    „Verstehst du mich denn?“ Die Dozentin und Hexe, die momentan keines von beiden mehr war, hob die Augenbrauen.
    „Mir sind viele Arten von Trauer bekannt. Und die, die ich noch nicht kenne, versuche ich kennenzulernen.“
    „Dann kommst du also zu mir, um etwas Neues zu lernen?“ Margarete konnte nicht verbergen, dass sie überrascht war.
    „Man kann nie genug wissen über die dunklen Seiten des Lebens.“
    Margarete lachte bitter auf. „Dunkel ist es um mich tatsächlich geworden. Was soll ich dir darüber erzählen? In meiner Welt gibt es schwarze Flächen … und graue Flächen … und Schlieren dazwischen, die alles Mögliche sein können, von giftigen Schlangen bis zu … bis zu …“
    Für ein paar Minuten hatten sie sich unterhalten wie zwei Dichterinnen, nach Worten suchend, poetische Formulierungen ausprobierend. Nun brach das lyrische Gefühl zusammen, als Margarete stockte. Sie atmeten beide gleichzeitig aus.
    Isabel rückte ein Stück näher. „Willst du mir sagen, wie du dich fühlst?“
    Eigentlich hatte Margarete den Eindruck, sie hätte das bereits getan. „Du willst doch nicht noch mehr von meinem Gejammer hören?“
    „Ich kann gar nicht genug davon bekommen.“
    Margarete erkannte, dass Isabel aufrichtig zu ihr war. Die Studentin verzehrte sich geradezu nach den Schilderungen ihres Leids. Sie war tatsächlich nur aus einem einzigen schlichten Grund gekommen: um ihre Qualen mitzuerleben, über ihren Schmerz zu hören. Doch mit Mitleid im normalen Sinne hatte das nichts zu tun. Auch nicht mit Schadenfreude. Isabel genoss jeden Kummer, jede Trauer wie andere das Glück – sie labte sich förmlich daran.
    Diese Feststellung ernüchterte Margarete jäh.
    „Mir ist es ernst“, sagte sie dumpf. Sie fühlte sich plötzlich verletzt, beleidigt. Empfand Isabel als eine … eine Schaulustige.
    „Mir ist es auch ernst“, erwiderte Isabel. „Übrigens kommst du mir jetzt viel glaubwürdiger vor. Diese überschäumende Lebensfreude, die du immer vor dir her getragen hast wie eine Maske – sie hat dir nicht so gut gestanden wie deine ehrliche Trauer.“
    Margarete fühlte Wut in sich aufsteigen. Obwohl sie wusste, dass Isabel nichts Böses im Schilde führte, klangen die Worte in ihren Ohren wie Spott. „Ich habe mein Augenlicht verloren“, brachte sie mit zitternder Stimme hervor. Und meinte damit: Hab’ verdammt noch mal ein wenig Respekt!
    „Wir haben alle etwas verloren“, entgegnete Isabel. In ihren Worten schwang fast so etwas wie Begeisterung, wie bei einem Prediger, der mit strahlenden Augen die Leiden Jesu ausschmückte. Sie war in ihrem Element. „Unsere Unsterblichkeit haben wir eingebüßt. Bei der Geburt. Und wir bekommen sie nie mehr zurück.“
    Margarete stand auf, ging einen Schritt, stieß mit dem Schienbein gegen den niedrigen Tisch und verbiss sich ein Stöhnen. Als sie Isabel kichern zu hören glaubte (vielleicht war es nur eine Täuschung), rastete sie aus. „Du interessierst dich für Artur, habe ich gehört!“ Sagte sie das wirklich?
    Stille. Es war beinahe, als hätte Isabel den Ort verlassen und wäre lautlos auf ihr Zimmer gegangen. Doch sie saß noch auf der Couch. „Ich weiß nicht, was du meinst“, sagte sie in schwebendem, unbestimmtem Tonfall.
    „Artur hat mit mir gesprochen, mir alles anvertraut. Es gibt zwei Frauen, für die er etwas empfindet. Er hat mir die Namen genannt. Deiner war nicht darunter.“ Margaretes Kehle brannte mit einem Mal, als hätte sie etwas Scharfes oder Bitteres geschluckt. Es schmerzte sie, diese Worte auszusprechen, aber sie konnte nichts dagegen tun. Sie war ein schwaches, verletzliches, rachesüchtiges Stück Mensch geworden.
    „Du lügst“, behauptete Isabel. Vor Monaten

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