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Falkengrund Nr. 34

Falkengrund Nr. 34

Titel: Falkengrund Nr. 34 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Gestalt sei von innen heraus beleuchtet. Lorenz wurde von der Kraft der Symbole nicht etwa ausgelöscht, er wurde vielmehr in diesem Zimmer konzentriert , auf die genaue Position seines Ätherkörpers reduziert, sodass er außerhalb davon keinerlei Macht mehr ausüben konnte.
    Sir Darren war selbst überrascht von der Wirkung seiner Vorbereitungen. Noch war er nicht sehr tief in die Thematik der Symbole eingedrungen. Er ahnte vage: Im Gegensatz zu den Magiern und Hexen, die davon ausgingen, dass Symbole und Sprüche aus sich heraus große Macht entfalten konnten, nahmen die Spiritisten an, diese Hilfsmittel würden lediglich eine einladende, vielleicht hypnotische Wirkung auf die Seelen im Diesseits und Jenseits ausüben. Vielleicht waren es hilfreiche Geister aus der anderen Welt, die – geleitet von den Zeichen an der Wand – den Baron zurückhielten und fesselten.
    Hilfreiche Geister. Ein argloses Wort wie aus einem Kinderbuch. Geradezu eine verantwortungslose Verniedlichung angesichts der Tatsache, dass man über die Welt hinter der Schwelle nichts Konkretes wusste.
    Sir Darren beobachtete aus nächster Nähe, wie Lorenz von Adlerbrunn sich gegen Mächte anstemmte, denen er nicht gewachsen war. Bodenlose Furcht und ein berauschendes Gefühl der Überlegenheit wechselten sich in dem Briten ab. Er bestaunte die Wand, die er in den letzten Minuten in ein wirres Kunstwerk verwandelt hatte. Mit entschlossenen Strichen hatte er Zeichen um Zeichen gesetzt, eilig und ohne zu zögern. Er hatte sich vorgestellt, die Wände des Raumes seien die Wände zum Jenseits, und er würde sie beim Schreiben mit einem Messer zerschneiden und damit durchlässig machen für die jenseitigen Mächte. Unter der Oberfläche seiner Selbstsicherheit kratzte derweil ein Ungeheuer, das ihn daran zu erinnern versuchte, dass sein Kunstwerk keine innere Logik hatte, dass es nur eine planlose Ansammlung von vielem war, was er in Büchern an Brauchbarem gefunden hatte.
    Dennoch: Die Falle schien zu halten. Lorenz war stark, aber die Kräfte, die Sir Darren aus den hintersten Gefilden des Kosmos in diesen Raum ließ, waren stärker. Trockenes Bücherwissen war im Begriff, über die dunkelsten Emotionen des Menschen zu siegen – ein seltsam erhebender Augenblick, der Sir Darren auf Lebenszeit prägen würde.
    Er wandte sich zu Katharina um, die hinter ihm schwebte, ein durchsichtiges, ausgebleichtes Dia, knisternd und rauschend, und Sir Darren hob die Hand, mehr eine triumphierende als eine dankbare Geste.
    Und sah, wie sich ihr Gesichtsausdruck plötzlich veränderte. Ihre Miene war von Anfang an gespannt gewesen. Nun mischte sich eine Warnung hinein: Vorsicht. Der Eindruck täuscht. Er ist noch nicht besiegt!
    Sir Darren wandte sich wieder zu Lorenz um. Er sah keinen Grund zur Besorgnis. Der Spuk schien zu resignieren, hatte seine Bemühungen, sich zu befreien, eingestellt. Warum überfiel den Briten nur auf einmal das Gefühl, sich selbst zu verändern?
    Er betrachtete seine Hände. Die sonst haarlosen, dünnen Finger schwollen an, und dunkle Haare sprossen auf den Hand- und Fingerrücken.
    Lorenz Hass auf sich selbst – seine größte Waffe! Weil es ihn danach dürstete, sich selbst zu bestrafen und auszulöschen, hatte er die Fähigkeit entwickelt, andere Menschen zu Abbildern seiner selbst zu machen, die er schließlich vernichtete. Im letzten Moment vor seiner großen Niederlage mobilisierte Lorenz diese Kraft und wandte sie auf den Menschen an, der die Seele seiner Frau benutzt haben musste, um ihn zu hintergehen.
    Sir Darren spürte, dass Lorenz‘ Einfluss nicht nur eine äußerliche Angelegenheit war. An der Oberfläche veränderte sich sein Körper, ja, aber gleichzeitig drang etwas von Lorenz tiefer in ihn ein, setzte sich fest. Eine Panik befiel den Briten, die mehr war als die Angst vor Gefahr oder Tod. Eine zweite Seele in seinem Körper oder auch nur ein winziges Bruchstück davon – das passte nicht hinein. Würde sein Verstand damit fertigwerden?
    Zurück , sirrte eine Stimme, die klang, als würde das Haus selbst sprechen. Zurück. Hinter mich. Er hat immer noch die Macht, Sie zu vernichten.
    Katharina sprach. Und Sir Darren gehorchte. Er stolperte rückwärts zur Tür, in den Geist hinein, durch ihn hindurch, und als er Katharina passierte, brannte sein Körper, als hätte man ihn mit Säure übergossen. Reflexartig begann er sich die Kleider vom Leib zu reißen, hielt jedoch inne, als er spürte, dass das Brennen nachließ.

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