Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 15 Der Zauberer und das Mädchen
in den Magen eingefangen, doch es hatte niemand gewagt, sie ernsthaft zusammenzuschlagen oder mit den Säbeln anzugehen. Die Ausrüstung des Magiers war von den erbosten Gästen fast vollständig zerstört worden, die Säbel hatten die Leute einfach mitgenommen, und Konrad wusste, wie sinnlos eine Anzeige bei der Polizei sein würde.
„Ich mache das nicht mehr. Nie mehr!“, erklärte Samuel energisch. In seinen Augen schimmerten Tränen, und er war gleichzeitig verstört und zornig.
Die drei Menschen sahen sich an.
Dann nahm Charmaine Samuels Hand, und Konrad wandte den Blick ab.
Konrad hatte sie einmal gefragt, warum sie ihn nie so berührte, wie sie die anderen Menschen anfasste. Gewiss, sie tat intimere, kühnere Dinge mit ihm. Aber er wollte das Gefühl spüren, das sie anderen gab, die Ruhe, die nur sie schenken konnte.
Sie hatte ihm erklärt, dass ihre Berührung wie eine Droge sei, und dass sie ihn nur lieben könne, wenn sie wusste, dass er frei von dieser Droge war. Wusste, dass er sie liebte, anstatt süchtig nach ihr zu sein …
4
Juli 1897
„Was soll das werden?“
Der Mann, der den Hut auf dem Schoß trug, anstatt ihn der Ablage anzuvertrauen, ließ den Kopf kreisen, um seine verspannten Nackenmuskeln zu lockern. Die ganze Fahrt über war er voll unruhiger Erwartung gewesen. Diese hatte sich noch gesteigert, als in Alpirsbach der zwergenhafte Mann zugestiegen war, der sich Ferdinand Frödd nannte.
Das runde Gesicht des Kleingewachsenen scharte sich um ein winziges Nasenfahrrad, an dem er ständig vorbei sah. Er trug einen dunklen Anzug, der einem gut genährten Grundschüler gepasst hätte, und nahm seinen hohen Zylinder nicht einmal in der Kutsche ab. Er sprach ohne Unterlass von den Vorzügen der Immobilie, die sie besichtigen wollten, und schaffte es, das Haus plastisch in der Phantasie der drei Reisenden entstehen zu lassen.
Konrad Winkheim hatte Frödds preisenden Worten aufmerksam gelauscht. Er hatte viele Fragen gestellt, die der Kleine unermüdlich beantwortete.
Ein weiterer Passagier, der schräg gegenüber von Winkheim – und damit neben Frödd – saß, wirkte eher ein wenig müde von der langen Reise, und dies, obwohl er der jüngste unter den drei Männern war – gleichaltrig wie das Mädchen, das neben Winkheim Platz genommen hatte.
Zwei Tage hatten sie in den komfortablen Erste-Klasse-Wagen der Hessischen und Württembergischen Staatsbahnen zugebracht. Auch der Luxus der geräumigen Abteile, die weichen Sitze, all die müßig geschmauchten Pfeifchen und die warmen Mahlzeiten hatten die Distanz nicht schrumpfen lassen. Das Rattern der Stahlräder auf den holprigen Schienen, der Gestank und der Wind, der überall durch die Ritzen der Waggons pfiff, hatten ihnen zugesetzt. Samuel Rosenberg war verstimmt und gab seinen beiden Begleitern mehr als einmal zu verstehen, dass er persönlich wenig Sinn in dieser Reise sah.
Konrad und Charmaine bemühten sich nach Kräften, ihm seine Zweifel auszutreiben, Konrad mit Worten, Charmaine, indem sie immer wieder seine Hand berührte und ihm Entspannung schenkte. Die Entspannung, die ihm teurer war als alles andere in seinem Leben. Es war Charmaines Währung, alles, was sie ihm geben konnte. Samuel, der von allem genug hatte, nur nicht von innerer Ruhe, gierte nach dieser Entspannung. Er fand sie nirgendwo sonst, nur in der fast beiläufigen Berührung durch die Hände dieser Frau.
Konrad redete unterdessen wie ein Buch und warf der Französin giftige Blicke zu, wenn sie den jungen Mann anfasste. Die Eifersucht war ihm ins Gesicht geschrieben. Charmaine hielt diesen Blicken stand wie jemand, der wusste, dass er nichts Falsches tat. Die Stimmung war zu Beginn der Reise fast euphorisch gewesen, doch als die Zugfahrt sich dem Ende entgegenneigte, wuchs der Abstand zwischen den beiden Verlobten. Konrad und Charmaine vermieden es, sich zu berühren, und schließlich sogar, sich anzusehen.
Die Gleise endeten in Horb, einem der vielen Tore zum Schwarzwald. Vor dem kleinen, sauberen Bahnhof erwartete sie bereits ein einfacher geschlossener Zweispänner, der sie über Alpirsbach weiter nach Südwesten bringen würde. Der Kutscher war ein stiller, resoluter Greis, krumm, grau und von Runzeln übersät, doch bärenstark wie ein junger Bauernbursche. Er bewies seine Kräfte, als er die Gepäckstücke aufs Kutschendach wuchtete, als wären die Taschen und Koffer mit Watte gefüllt. Dann packte er Charmaines Taille und platzierte die Französin in
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