Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 15 Der Zauberer und das Mädchen
dahinter steckten. Die ganze Zauberei – das sagten ihnen seine Auftritte – war doch nur ein Bündel ausgebuffter Gauklertricks. Wenn sie seine Vorstellungen verließen, waren sie nicht nur unterhalten, sondern auch ihrer Ängste enthoben worden. Ein Illusionist, so wundersam seine Tricks auch sein mochten, war kein Verbündeter der Gespenster, sondern ein wackerer Streiter für die Vernunft. In seiner Gegenwart fühlte man sich sicher, bewies er doch, dass alles, was man für Magie zu halten geneigt sein mochte, nur Trug und Schabernack war.
Wer einmal Charmaines Hand nahm, konnte diese Meinung nicht mehr teilen. Aus ihr floss etwas Echtes, Unanzweifelbares herüber. Eine Kraft, wie sie nur wenige besaßen. Sie war ein Gegenstück zu Konrad.
Manchmal, wenn ihr Vermieter Meir Rosenberg bei ihr erschien, um die Miete einzutreiben, nahm sie seine Hand. Er war ein einsamer, ruheloser Mann, und was sie ihm gab, tat ihm gut. Eines Tages jedoch war er nicht mehr gekommen. Vier Monate lang hatte sie nicht bezahlt, und dann tauchte auf einmal sein Sohn auf und eröffnete ihr, Meir sei gestorben.
Auch Samuel erschien nun öfters bei Charmaine. Gab vor, nach dem Rechten zu sehen, nachzuprüfen, ob keine wichtigen Reparaturen nötig seien, die sein sparsamer Vater übergangen hatte. In Wirklichkeit wollte er nur ein paar Minuten bei dem Mädchen sitzen und sich die Hand halten lassen. Er vergaß darüber, die Miete zu kassieren. Stattdessen ließ er sich, aus Langeweile vielleicht, dazu überreden, in den Vorstellungen als Komplize zu fungieren.
Eine merkwürdige Art von Freundschaft entstand zu Charmaine und Konrad. Ohne, dass es ihm richtig bewusst wurde, fungierte Samuel Rosenberg als ihr Gönner.
Und je näher sie sich kamen, desto konkreter wurden Konrads Pläne …
„Da muss etwas passiert sein!“
Die Kutsche war mit einem Ruck zum Stehen gekommen. Die Pferde wieherten, ihre Hufeisen knallten gegen den steinigen Boden.
Konrad riss die Tür auf und sprang hinaus. Als erstes sah er den Kutscher, der über ihm auf dem Bock verbissen an den Zügeln zerrte. Seine Beine stemmten sich gegen die Fußstütze, er stand und drückte das Kreuz durch, um mehr Kraft zu haben. Die beiden Rösser, die den Wagen zogen, warfen die Köpfe hin und her versuchten zur Seite auszubrechen. Die Kutsche schwankte, drohte umzukippen. Sofort wirbelte der Illusionist herum und streckte seine Arme nach Charmaine aus, die sich ihm schon entgegenwarf. Hinter ihr kam Ferdinand Frödd mit einem halsbrecherischen Sprung wie ein Kastenteufel herausgespritzt – gerade noch rechtzeitig. Sein Zylinder flog durch die Luft.
Die Pferde hatten eben noch in entgegengesetzte Richtungen gezogen. Nun rissen sie beide nach rechts. Die Kutsche, die direkt neben einem Graben zum Stehen gekommen war, wurde seitlich versetzt, die beiden rechten Räder glitten in die Mulde. Das Gefährt kippte.
„ ’ärr Rosänbärg! “, rief Charmaine.
Der Kutscher ließ die Zügel fahren, sprang im letzten Moment vom Kutschbock und kam schwer und mit einem schmerzvollen Ächzen im Gras auf. Die Kutsche legte sich krachend neben den Weg – und nicht weit neben den Kutscher. Auch die Pferde waren umgeworfen worden; sie rappelten sich jetzt auf, schnaubten erregt und wanden sich in der Umklammerung der schräg nach oben ragenden Deichseln.
„Verfluchtes Pech!“, schimpfte der Kutscher. Er rieb sich die Knie und die Handgelenke. Langsam nur kam er auf die Beine. „Helfen Sie mir, sie wieder aufzustellen! Kommen Sie, packen Sie mit an!“
„Es befindet sich aber noch jemand im Inneren.“ Konrad hob die Augenbrauen. Er wartete darauf, dass Samuel Rosenberg aus der Kutsche geklettert kam.
Was nicht geschah.
„Wir stellen sie erst auf“, brummte der Kutscher. „Dann kann er aussteigen … oder gleich drin bleiben.“ Er wirkte verwirrt. Die sich schüttelnden Pferde machten ihn zappelig. Vermutlich befürchtete er, sie könnten ihm das Fahrzeug zerbrechen oder sich verletzen.
„Den Teufel werden wir tun!“, gab Konrad zurück. Er kletterte auf das umgekippte Gefährt. Die Tür war wieder zugeklappt, als die Kutsche umgefallen war, und sie nach oben zu öffnen, kostete erstaunlich viel Kraft.
Samuel lag im Inneren wie eine Marionette, die man aus einer Kiste in die andere geschüttet hatte, den Kopf nach unten, die Arme nach hinten abgewinkelt. Aus seinem geöffneten Mund lief glücklicherweise nur Speichel, kein Blut. Auf Ansprache reagierte er nicht, hatte
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