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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 3 Fluch der Liebe

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 3 Fluch der Liebe

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 3 Fluch der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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nahtlos in sein Brusthaar überging.
    Dieser Mann hatte seinen Spitznamen noch im Verlauf seiner allerersten Unterrichtsstunde erhalten. Der Name hatte sich förmlich aufgedrängt, und den meisten Studenten war die Idee völlig unabhängig voneinander gekommen:
    Auf Schloss Falkengrund kannte ihn jeder unter der wenig schmeichelhaften Bezeichnung Mr. Hyde .
    Dr. Konzelmanns Spezialgebiet waren Chemikalien, Kräuter, Tränke und Tinkturen. Er erforschte die chemische Seite der Magie, den naturwissenschaftlich greifbaren Teil der geheimen Überlieferungen. Seine Doktorarbeit hatte er über die Verbindung von halluzinogenen Drogen zu den Flugsalben der Hexen verfasst – ein Werk, das häufig gekauft, aber niemals öffentlich diskutiert wurde.
    Was lag bei diesem Hintergrund und seinem borstigen, kaum mehr menschlich zu nennenden Aussehen näher, als ihn mit der Figur aus Stevensons bekannter Novelle zu vergleichen? Dahinter stand mehr als nur Spaß und Spott. Einige der Schüler vertraten ernsthaft die Meinung, der Dr. Roderich Konzelmann, den sie vor sich sahen, sei das Ergebnis eines Experiments, das jenem von Dr. Jekyll im Grusel-Klassiker beunruhigend nahe kam.
    Vielleicht war es so. Angesprochen hatte den ungewöhnlichen Menschen darauf noch niemand. Man wollte den sensiblen Mann nicht verletzen. Lieber sollte das Geheimnis – falls es eines gab – ein Geheimnis bleiben.
    Konzelmann wohnte in einer abgelegenen Gegend des Elsass und arbeitete als Privatdozent und Forscher. Jeden Mittwoch reiste er mit seinem kleinen Renault Clio an und hielt sein Seminar auf Falkengrund ab.
    Er war ein ungeschickter, linkischer Lehrer. Betretene Stille war das Markenzeichen seines Unterrichts. Sein Redefluss kam häufig ins Stocken, und er schien sich unentwegt zu fragen, was er als nächstes tun oder sagen sollte. Wenn man sich daran gewöhnt hatte, war es nicht mehr schlimm, ja, sein Seminar hatte durchaus Fans unter den Studenten. Denn die Inhalte seines Unterrichts waren greifbar und konkret. Während die Monologe der anderen Dozenten allzu oft in abgehobene, theoretische Denkübungen ausuferten, blieb Konzelmann eng an der Praxis. Er war Materialist – die moralisch-ethischen Seiten seines Fachgebietes interessierten ihn nur am Rande.
    Wenn er seine klobige Hand in die Hosentasche steckte und nach dem Schlüssel für das Labor im Keller kramte (er wand dabei seinen ganzen Körper wie ein Fisch am Angelhaken), war die Luft im Seminarraum plötzlich mit knisternder Spannung gefüllt. Das Laborzimmer war sein Reich, sein Teil von Schloss Falkengrund, und nicht einmal Werner Hotten – Rektor, Hausmeister und Gärtner in einer Person – durfte diesen unterirdischen Raum ohne seine Begleitung betreten. Auch die Putzfrau war ausgesperrt, und für Menschen mit Stauballergie kam ein Besuch im Heiligtum des Mr. Hyde daher einem Kurzurlaub in der Hölle gleich.
    „Was ist das? Was denken Sie?“, fragte Dr. Konzelmann an diesem Morgen. Da er seine Hände scheu hinter dem Rücken verschränkt hatte und den Blick nicht vom Fußboden löste, war es schwierig zu erkennen, wovon er überhaupt sprach.
    „Richtig“, murmelte er nach einer Minute und räusperte sich. „Sie können es nicht sehen. Kommen Sie nach vorne.“
    Während Margarete Maus und Salvatore Cavallito die Studenten duzten und von ihnen geduzt wurden, hatte ihnen Dr. Konzelmann noch keine Vertraulichkeiten dieser Art angeboten. Zusammen mit dem spröden Sir Darren verkörperte er in Falkengrunds Mauern eine letzte Bastion von Professoren, die sich nicht zu Kumpeln der Schüler machen ließen.
    Es war vermutlich die einzige Gemeinsamkeit, die er mit Sir Darren hatte. Die beiden ungleichen Kollegen gingen sich aus dem Weg, wann immer es möglich war. Der distinguierte englische Sir sah in dem bärenartigen Chemiker eine Art Untermensch, ein Geschöpf, das dazu geschaffen war, Ställe auszumisten oder Kartoffeln aus dem Ackerboden zu wühlen, nicht dazu, an einer privaten Hochschule den erhabenen Geist der Wissenschaft zu verkörpern.
    Und Konzelmann seinerseits hielt den steifen Briten schlicht für einen arroganten Snob. In diesem Urteil stimmte er mit den meisten Schülern überein.
    „Kommen Sie!“
    Die Studenten erhoben sich nur zögernd von ihren Stühlen und kamen hinter ihren Tischen hervor.
    Auf dem Schreibtisch des Doktors lagen zwei hellbraune Häufchen. Das linke bestand aus Samenkörnern, die etwa die Form von Orangenkernen hatten. Das rechte Häufchen war

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