Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 3 Fluch der Liebe
halfen sich höchstens dabei, den Tod anderer Menschen zu verarbeiten, spendeten einander Trost. Aber wer half einem dabei, den eigenen Tod zu verstehen? Wer, außer den Grufties, machte den eigenen Tod zum zentralen Thema des Lebens?
Und war es mit der Liebe nicht ähnlich?
Geliebt zu werden, oh ja, das wünschte sich jeder. Man tat alles, um die eigene Attraktivität zu steigern, sich jünger und schöner zu machen, man war bereit zu mancher Lüge und manchem Schwindel, wenn sich dadurch das Herz des anderen gewinnen ließ.
Aber wer machte sich schon Gedanken über die Liebe, die sich im eigenen Inneren eingenistet hatte?
Die Menschen wünschten sich, der andere möge sich unsterblich in einen verlieben. Aber wer wünschte sich schon, die eigene Liebe möge unsterblich und rein und ohne jeden Fehler sein?
Isabel wünschte es sich.
Die Charade, die sie mit den anderen getrieben hatte, war eine Art Vorspiel gewesen.
Ja, sie wollte eine andere Seite des Themas „Liebestränke“ erkennen als jene, die Dr. Konzelmann angesprochen hatte. Wollte sehen, wie Menschen reagierten, wenn sie glaubten, dazu verdammt worden zu sein, jemanden zu lieben.
Es wäre ein interessantes Experiment geworden, interessanter als alle, die der nüchterne Wissenschaftler jemals gewagt hatte. Besser als alle Ratten- und Hamster-Tests. Ein Experiment, in dem das Herz des Menschen im Mittelpunkt stand, nicht sein Körper.
Zugegeben, sie hätte ihre Versuchspersonen betrogen, aber hätte sie ihnen damit einen Schaden zugefügt? Nein. Sie hätte ihnen lediglich für eine gewisse Zeit die Illusion gegeben, verliebt zu sein, bis sie ihnen die Wahrheit enthüllte. Was war daran Schlechtes? Sie hatte keinen Moment vorgehabt, die Situation auszunutzen, die eingebildete Liebe eines anderen für sich zu beanspruchen. Sie wollte nur lernen, mehr über das Wesen Mensch erfahren.
War sie dazu nicht hier, in Falkengrund? War sie dazu nicht Studentin geworden?
Leider war die Sache aufgeflogen, ehe sich Wirkungen zeigen konnten. Sie hatte die Illusion zu stümperhaft aufgezogen. Und eine zweite Chance würde sie nicht mehr bekommen.
Aber darum ging es letztlich nicht. Sie hatte etwas Wichtigeres vor.
Schon seit geraumer Zeit beschäftigte sie sich mit der Thematik. Schon seit Wochen hielt sie die Zutaten bereit. Dr. Konzelmanns Seminar war nur der Startschuss für ein Rennen gewesen, auf das sie sich schon lange vorbereitete.
Liebe. Absolute, bedingungslose, fehlerlose Liebe. Ewige, unerschütterliche Liebe bis in den Tod.
Wenn es etwas gab, das es im Leben zu erfahren galt, dann eine solche Liebe. Dieses ideale, vollkommene Gefühl. Unerreichbar für den gewöhnlichen Menschen. Jede noch so harmonische Partnerschaft hatte ihre Makel, jedes noch so leidenschaftliche Gefühl hatte eine begrenzte Haltbarkeitszeit. Wenn es einen Weg gab, dieses einzigartige Gefühl für sich selbst zu erlangen, dann nur durch Magie. Durch einen wirksamen Liebeszauber.
Niemand würde sie jemals verstehen, also würde sie niemals den Versuch machen, es jemandem zu erklären. Das schwor sie sich. Heute war ihr Geburtstag, und dies war ihr Geschenk an sich selbst.
Sie hatte die schwarze Teekanne bei sich.
Sie hatte die Dose, die Artur in ihrem Zimmer gefunden hatte. Darin befand sich ein Pulver, das sie für teures Geld erworben hatte. Die getrocknete, gemahlene Leber einer schwarzen Katze.
Sie hatte alle Wurzeln und Kräuter.
Sie hatte ihr eigenes Menstruationsblut, in geronnenem Zustand. Seit zwei Wochen trug sie es bei sich.
Und sie hatte ein Haar eines der Studenten.
Sie wusste, wem das Haar gehörte. Niemandem sonst würde sie es verraten. Auch nicht dem Mann selbst, in den sie sich verlieben würde.
Was sie wollte, war nicht seine Liebe.
Sie wollte das Feuer der Liebe in sich . Magische Liebe. Eine alles erfüllende, wilde lodernde Flamme, ein ewiges, unauslöschliches Feuer.
Der Tod und die Liebe – die beiden Kräfte, die den Menschen umhertrieben. Dem Tod konnte man nicht entfliehen. Aber die große Liebe konnte man verpassen. Isabel wollte sie nicht verpassen.
Sie war nicht sicher, ob sie es schaffen würde, ihre Gefühle vor dem Mann zu verbergen, den sie schon bald zu lieben beginnen würde. Vielleicht würde sie es ein Leben lang für sich behalten. Vielleicht würde die Glut in ihr sie dazu zwingen, sich ihm zu offenbaren. Sie wusste nicht, was für ein Mensch sie sein würde, wenn die vollkommene Liebe in ihr brannte, die in dieser Reinheit
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