Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 5 Nummer Dreizehn

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 5 Nummer Dreizehn

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 5 Nummer Dreizehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
Vom Netzwerk:
zerfetzte sie weiter in einzige Stücke.
    Minutenlang arbeitete er wie von Sinnen, und als letztes nahm er sich noch sein Kopfkissen vor, das sich die ganze Zeit über nicht bewegt hatte, und zerpflückte auch dieses, bis das Zimmer von einer weißen Schicht aus Stoff und Federn bedeckt war.
    Keuchend kauerte er auf dem Boden und versuchte, das bisschen Verstand zurückzubekommen, über das er verfügt hatte, ehe das Phänomen begann. Noch hatte er nicht um Hilfe gerufen. Noch war er nicht hinaus in den Flur gegangen.
    Michael Löwe betrachtete die Verletzungen, die er sich selbst beigebracht hatte. Seine dünnen Arme, die nur aus Haut und Knochen zu bestehen schienen, waren von Wunden übersät, doch überall begann das Blut bereits zu gerinnen. Vorsichtig tastete er sich über das Gesicht. Dort konnte er nur ein oder zwei kleine Kratzer entdecken, einen am Kinn, den anderen auf der linken Wange.
    Kratzer, wie man sie sich beim Rasieren zuziehen konnte.
    Wenn er sich entschied, niemandem etwas zu erzählen, würde auch niemand etwas bemerken. Es durfte nur niemand mit ihm im Duschraum sein. Kein Problem – er würde vor Sonnenaufgang duschen, noch bevor Georg von seinem Frühsport zurückkehrte. Er wollte keine umständlichen Erklärungen und Diskussionen. Sie redeten und redeten, und er verstand nichts davon. Schweigen war einfacher.
    Aber sein Bettzeug! Nichts mehr war davon übrig. Selbst sein Pyjama war in Fetzen.
    Er sah sich um und machte eine Entdeckung. An der dem Bett gegenüberliegenden Wand waren dunkle Schlieren auszumachen. Es sah aus, als hätte sich ein Kind mit Fingerfarbe dort ausgetobt. Erst bei genauem Hinsehen erkannte er, dass es sich um Buchstaben handelte. Schief und unregelmäßig waren sie aneinandergereiht.
    ESTDIEFMALITAETE
    Das ergab keinen Sinn. Vorsichtig berührte er die Lettern, doch sie schienen nicht aufgemalt, sondern aus der Wand heraus aufgetaucht zu sein. Wie eine Schrift auf einem Computerbildschirm.
    Michael stellte fest, dass er bohrenden Hunger hatte. Sein Magen krampfte sich zusammen. Er beugte sich über den großen Karton, öffnete eine Viererpackung Schokoriegel und stopfte sich die Kalorienbomben eine nach dem anderen in den Mund. Dann folgte eine Packung Kekse und anschließend die Cashewkerne, die er aus der Schachtel gezogen hatte, ehe ...
    ... ehe was genau geschehen war?
    Als er den größten Hunger gestillt hatte, legte er sich auf die nackte Matratze und streckte seine Glieder aus.
    Er starrte an die Decke. Nach einer halben Stunde fühlte er sich immer sicherer, dass er nur geträumt hatte. Sicher, die Spuren des Kampfes waren unübersehbar, und er konnte sich an keinen Moment erinnern, an dem er aus dem Traum erwacht war, aber ...
    Hieß es nicht, dass Menschen, die lebhafte Albträume hatten, Dinge zerschlugen oder zerrissen, während sie sich gegen die Illusionen in ihrem Kopf zur Wehr setzten? Die Schrift an der Wand ergab keinen Sinn – vielleicht hatte er sie selbst im Schlaf geschrieben ...
    Der kalte Angstschweiß auf Michaels Körper war längst getrocknet, und die Wunden taten nicht mehr weh. Doch die Verwirrung ging nicht weg.
    Hatte er geträumt? Zum ersten Mal in seinem Leben geträumt?

2
    Es war erstaunlich, wie leise sich ein Mann aus einem Dreibettzimmer schleichen konnte, der zwei Meter und zwei Zentimeter maß und hundertzwanzig Kilogramm auf die Waage brachte. Georg hatte eine Körperbeherrschung, die an Zauberei grenzte. Er war nicht einfach nur groß und stark, sondern besaß die volle Kontrolle über jeden Fingerbreit dieses titanenhaften Leibes. Wer in das breite, etwas einfältig wirkende Gesicht mit den wasserblauen Augen blickte, konnte gar nicht anders, als den 26-jährigen zu unterschätzen. Zwar gab es belesenere Studenten an dieser kleinen Uni als ihn, und er trieb lieber unter freiem Himmel sein Workout, anstatt in der Bibliothek staubige Wälzer zu stemmen, doch sein Verstand war wach, seine Sinne scharf.
    Und seine Disziplin eisern.
    Jeden Morgen um fünf Uhr vibrierte der Weckalarm seiner Armbanduhr, und keine fünf Minuten später trug er Shorts und Muskelshirt und war, ein kleines Handtuch um den Nacken geschlungen, auf dem Weg nach draußen. Seine Zimmergenossen bekamen nichts davon mit.
    Enene, der Mann mit der tiefschwarzen Haut, lag normalerweise auf dem Rücken und atmete lautlos und ruhig, so dass man ihn für einen Toten halten konnte. Seine langen, zu winzigen Zöpfchen geflochtenen Haare lagen ausgebreitet zu allen

Weitere Kostenlose Bücher