Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
schleppen, ja?«
Tobias grinste zu ihm hoch, obwohl es so dunkel war, dass Sadik kaum mehr als seine Umrisse wahrnehmen konnte. »Wozu sind Freunde da, mein lieber Sadik?«
Dieser seufzte geplagt, bückte sich und packte einen der Griffe. »Wenn jemand ein Geschenk auf einem Esel bringt, so erwartet er ein Geschenk, das auf einem Kamel daherkommt«, sagte er verdrossen.
»He, langsam!«, rief Tobias. »In welche Richtung?«
»Das liegt doch auf der Hand! Natürlich dahin, wo das meiste
Licht ist, wo die Bäume nicht so dicht stehen, und von dort zum nächsthelleren Fleck, bis wir endlich auf einen Weg oder eine Straße stoßen.«
»Das kann eine Weile dauern«, murmelte Tobias ahnungsvoll in Erinnerung des letzten Ausblicks aus der Gondel. Vor sich hatte er nur Wald gesehen. Und den Schäfer zu suchen und ihn nach dem Weg zu fragen, war nicht ratsam. Erst mal hätten sie Stunden gebraucht, um wieder auf die andere Seite zu gelangen. Und dann wäre es noch sehr ungewiss, ob sie ihn dann dort noch angetroffen hätten. Wer wusste, wie tief ihn die nächtliche Ballon-Offenbarung verstört hatte.
Tobias’ Ahnung bestätigte sich. Sie irrten Stunden durch den Wald, bis sie schließlich auf einen schmalen Pfad stießen. Dann begann es auch noch zu regnen. Stumm und erschöpft folgten sie dem Weg, die Truhe zwischen sich, die mittlerweile statt Bücher Mühlsteine zu enthalten schien.
Mehr als einmal fühlte sich Tobias versucht vorzuschlagen, es für diese Nacht gut sein zu lassen und irgendwo einen geschützten Platz zu suchen. Doch er verbiss sich das, weil Sadik stur weiterging.
Endlich wich der Wald zurück und gab den Blick auf Weiden und Felder frei.
»Sadik! Eine Hütte! Da drüben!«, stieß Tobias aufgeregt hervor und wies auf ein windschiefes Gebäude zwischen Feld und Wald. Sie liefen darauf zu und es stellte sich als Heuschober heraus.
»Der Bauer scheint sich nicht viel aus nassem Heu zu machen«, knurrte Sadik missmutig, als sie durch das offen stehende Brettertor in den Schober traten. Das Dach war an vielen Stellen schadhaft und der Regen hatte auch hier den Boden aufgeweicht.
Tobias sah sich um. »Es ist ja noch gar keins drin. Bis zum ersten Schnitt ist es noch ein paar Wochen hin.«
»Ein Bauer, der sich nicht um die Dächer seiner Heuschober kümmert, ist sein Pulver nicht wert«, sagte Sadik ärgerlich und sah sich nach einer einigermaßen trockenen Stelle um. »Dem hier muss es zu gut gehen.«
»Oder sehr schlecht«, wandte Tobias ein und folgte ihm tiefer in den Schober. An manchen Stellen schoss das Regenwasser in fingerdicken Schnüren vom Dach herunter.
»O nein! Ein armer Bauer hätte das Dach schon im Winter trocken gehabt, mein Junge! Arme Leute passen auf das wenige, das sie besitzen, auf! Setz ab. Hier schlagen wir unser Lager auf. Die Ecke ist zwar nicht gerade wüstentrocken, aber was Besseres werden wir unter diesem Sieb von Dach nicht finden.«
Sie stellten die Truhe zwischen sich, sodass sie sich mit dem Rücken gegen die Heuschoberwand und seitlich auf die Truhe lehnen konnten.
Tobias hüllte sich in seinen langen Umhang, der schwer vor Nässe war. Ihm war kalt und er hatte Hunger. In seinem Magen schien ein Marder an den Wänden zu nagen und ein Wolf zu knurren.
Sadik zog sich seine Decke um die Schultern und lachte grimmig auf. »Nur zu! Du hast ja gewusst, was wichtig für uns ist. Dann öffne mal deinen Sack, damit wir uns den Magen füllen können«, forderte er ihn spöttisch auf. »Teil aus, was du zu bieten hast. Wie wäre es mit einem saftigen Buchrücken? Oder sollte ich nach dem langen Marsch doch besser mit zarten Romanseiten vorlieb nehmen, um Bauchdrücken zu vermeiden?«
»Sadik, bitte!«
»Ach, ich vergaß! Eine Scheibe Metronom ist sicherlich eine genauso große Köstlichkeit wie Agnes’ geräucherter Schinken«, fuhr dieser jedoch unerbittlich fort. »Und ein Stück Walknochen wird uns bestimmt so auf der Zunge zergehen wie das Gebäck der guten Frau. Also, auf was wartest du, Tobias? Herzhaft hineingebissen in die Sudanexpedition!«
»Hör mit dem Quatsch auf, Sadik«, grollte Tobias. »Ich bin genauso hungrig wie du. Aber wir haben nun mal nichts!«
»Aiwa, weil du mit dem Proviantsack so schnell bei der Hand warst«, sagte Sadik grimmig.
»Hätte ich vielleicht zulassen sollen, dass du Vaters Tagebücher in den See wirfst? Sein Lebenswerk?«, hielt er ihm vor. »Hättest du ihm dann noch in die Augen sehen können?«
»Na ja, du hättest
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