Fall bloß nicht auf!
was andere nicht sehen, weil ich die Stadt kenne und weil ich die Augen offen halte. Die Augen offen halten, davon hängt alles ab. Man muss sich die Zeit nehmen, genau zu beobachten.
Hat mich Jahre gekostet, das zu lernen. Als ich noch klein war â so richtig klein und noch in den Fängen der anderen â, konnte ich es noch nicht. Ich konnte mich nicht frei bewegen, selbst wenn ich mich losriss, drehte ich mich wie ein Kreisel.
Aber wie gesagt, ich hab immer die Augen offen und ich lerne rasch. Das Erste, was ich gelernt habe, ist, die Augen aufzumachen. Ich habe die Stadt beobachtet, Tag und Nacht, so wie jetzt auch. Man muss die Augen immer offen halten, dann entgeht einem nichts. Wenn du mal nicht hinschaust, dann tappst du in die Falle.
Immer einen Schritt voraus sein, das ist alles.
Das Erste, was mir auffiel, als ich mit dem Beobachten anfing, war, wie viele Leute gar nicht in ihren Häusern wohnen. Sicher, die meisten sind daheim, ich weiÃ, aber die interessieren mich nicht. Mich interessieren die anderen. Um ihnen auf die Spur zu kommen, muss man Geduld haben.
Aber es lohnt sich. Wenn man nur lange genug beobachtet, findet man heraus, dass es in der ganzen Stadt viele menschenleere, gemütliche Häuser gibt. In den meisten Nächten habe ich die Qual der Wahl. Manchmal, zugegeben, findet man keines und dann muss ich wie die anderen drauÃen pennen.
Aber das ist die Ausnahme. Heute Abend kann ich dir gleich drei Adressen nennen. Wir suchen uns die beste aus.
Komm mit und ich zeige dir ein bisschen von meiner Welt. Nur ein bisschen, bilde dir nichts ein. Aber ich muss heute Abend reden. Ich muss erst einmal wieder ein klares Bild kriegen. In meinem Kopf ist noch alles durcheinander. Zuerst die Sache mit Trixi, dann Mary und der verrückte Hund. Bleib heute Abend einfach etwas länger bei mir.
Aber schleich nicht hinter mir her. Ich kann nicht reden, wenn du hinter mir bist. Gut. Siehst du das Licht dort drüben? Auf der anderen Seite der Mauer? Das ist eine Imbissbude. Der Typ, der sie zusammen mit seinem Sohn führt, heiÃt Abdel. Schau, da rechts, das ist der Eingang zum Park. Da gehen wir lang.
Nicht in die City, nein, die lassen wir mal links liegen. Wir gehen Richtung AuÃenbezirke.
Gehen, gehen, gehen.
Gehen hilft beim Denken, und wenn du nicht denken willst, hilft es auch. Manchmal gehe ich fünfzig Kilometer am Tag.
Gehen, um zu denken, gehen, um zu vergessen. Klappt nicht immer, aber es kann schon dabei helfen.
Da ist eine Mauer. Warum einen langen Umweg machen. Steig drüber, lass dich auf der anderen Seite herab, schau nach rechts und nach links. Jugendbanden benutzen den Park auch. Trixi und ihre Leute hängen manchmal hier rum, auch andere Typen. Also halte die Augen offen.
Geh weiter. In den Park, zwischen den Bäumen hindurch, über das FuÃballfeld.
Pass auf. So bleibst du am Leben. Ich weiÃ, Trixi hat mich vorhin erwischt, aber das soll dir eine Warnung sein. Wenn es mich erwischen kann, dann kann es jeden erwischen.
Also Augen auf. Trixi ist hier nicht die erste Sorge.
Geh weiter. Ãberquere das FuÃballfeld und verlass den Park durch die andere Pforte. Siehst du die Lichter da auf der Linken? Die City ist hellwach. Sie steht unter Strom. Spürst du das? Sie ist schön, wenn man sie von auÃen betrachtet. Das Gehen hat mir gutgetan.
Nicht wirklich. Ich sehe immer noch Marys Gesicht vor mir.
Ich muss mich irgendwo mal richtig ausruhen und zwar bald. Nun ist es nicht mehr weit.
Vorbei an den Schrebergärten, an der Tankstelle. Noch mehr Schrebergärten. Nur noch hier und da ein Haus. Bleib am StraÃenrand, bleib nah an den Vorgärten.
Geh behutsam. Wir können hier nicht untertauchen, wenn uns jemand sieht. Wir nehmen eines von den Häusern. Die meisten werden von Gruftis bewohnt, die Vorhänge sind zugezogen. Noch ein paar Schritte und â¦
Willkommen daheim.
Mach jetzt alles genauso wie ich. Halt die Augen offen und mach vor allem keine Geräusche. Wenn du mich verrätst, ist es aus mit uns. Vermiese mir eine von meinen Hütten und wir sind geschiedene Leute.
Gut, immer schön ruhig. Jede Hütte ist anders, aber die Regeln sind immer dieselben. Du gehst ungesehen rein, du bleibst ungesehen, solange du drin bist, und du lässt dich nicht sehen, wenn du wieder weggehst. Keiner, wirklich keiner, weiÃ, dass du hier gewesen bist. Am allerwenigsten die Eigentümer. Also halt die
Weitere Kostenlose Bücher