Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
den Dreh heraushatte, sich durch die Menge zu rempeln. Er war immer noch nicht ganz an das ungezwungene Gebaren der freien Crasii gewöhnt, aber in ihm wuchs das Einverständnis mit der Vorstellung, dass der Instinkt eine strenge Herrin war. Sie mochte es nicht, unbeachtet zu sein.
»Was meinst du?«
»Wie bitte?«
»Du fragtest nach Shalimar.«
Warlock zwang sich, das Paar zu vergessen, und versuchte, sich auf die anstehenden Probleme zu konzentrieren. »Ich habe mich gefragt, wo all das Essen herkommt. Er muss doch irgendwie dafür bezahlen. Wie regelt er sein Leben? Als Heiler? Schreiber? Wahrsager?«
Boots dachte einen Moment darüber nach und zuckte dann die Schultern, während sie über eine Pfütze stieg, deren beißende Gerüche Warlock würgen ließen. Zwischen den endlosen Frühlingsregen und dem schnell aufziehenden Sommer verstopften unidentifizierbar stinkende Schlämme regelmäßig das, was hier als Abwasserrinnen durchging.
»Ich weiß nicht genau. Vielleicht kommt er mit Spenden durch.«
»Von wem?«, fragte er, wobei er sich wunderte, wie Boots diese Straßen so unberührt durchstreifen konnte, während er ständig zu spüren glaubte, wie Gestank und Auswurf ihn verseuchten. »Das hier sind die Slums von Lebec, Boots. Kaum jemand hier hat das nötige Kleingeld, um seinen Magen zu füllen, geschweige denn, um einen Tisch so zu decken wie Shalimars.«
»Vielleicht ist es von den Arks, denen er hilft?«, schlug sie vor, nun offensichtlich selbst beunruhigt von der Frage, auf die Warlock ihre Aufmerksamkeit gelenkt hatte. »Vielleicht organisiert er Passagen zum Verborgenen Tal und schlägt ein paar Prozent drauf.«
»Dann wäre er aber ein Aasgeier, der sich am Leiden der Crasii bereichert«, entgegnete er. »Nicht der große Mann, den du in ihm zu sehen scheinst.«
Boots sah neugierig zu ihm auf. »Was versuchst du zu sagen, Warlock? Dass Shalimar eine Art übler Scharlatan ist, der vom Unglück der Crasii lebt?«
» Weißt du, wo das Verborgene Tal ist?«
»Nein.«
»Hast du je mit jemandem gesprochen, der da war?«
Sie runzelte die Stirn. »Naja … nein …«
»Also, nach allem was du weißt, wird Shalimar reich, indem er verspricht, unseren Leuten zu helfen. In Wirklichkeit könnte er ihr Geld nehmen, ihnen die Kehlen durchschneiden, sobald sie aus der Stadt sind, und sie in einem unauffälligen Graben verbuddeln, irgendwo außerhalb der Stadt.«
Boots blieb stehen und sah ihn an, dann schüttelte sie den Kopf und verdrehte die Augen. »Du bist verrückt.«
»Ich habe mich nur gefragt, wie er einen Tisch wie diesen decken kann, das ist alles.«
»Warum fragst du ihn nicht?«
»Vielleicht mache ich das morgen.«
»Ja, tu das«, knurrte sie, offensichtlich verärgert. »Ich bin gespannt auf Shalimars Reaktion auf deine Schmeicheleien.«
Warlock seufzte. Er hatte sie nicht verstimmen wollen. »Boots … ich wollte ihm gar nichts unterstellen. Ich habe nur nachgedacht, es scheint mir doch ein bisschen sonderbar –«
»Halt!«
Instinktiv erstarrte Warlock, als er den Kommandoruf vernahm. Boots, viel mehr an Freiheit gewöhnt als er, wählte das gegenteilige Verhalten. Sie floh – ein aussichtsloses Unterfangen in den überfüllten engen Gassen –, nur um zwei Männern der Stadtwache direkt in die Arme zu laufen. Wild brüllte sie die Männer an und versuchte sich freizukämpfen, als sie sie bändigen wollten. Einem kratzte sie die Wange auf, den anderen biss sie in den Arm. Warlock begann tief in der Kehle zu knurren und machte Anstalten, ihr zu Hilfe zu kommen.
»Keinen Schritt weiter, Köter!«, brüllte jemand hinter ihm. »Nicht, wenn du und die Hündin weiterleben wollen.«
Warlock zögerte, spähte über die Schulter und starrte in eine Armbrust, die direkt auf seinen Torso gerichtet war. Es waren ein Dutzend oder mehr Männer, und hinter den beiden, die Boots festhielten, rückten noch mehr heran. Sie waren vollständig umzingelt. Der Wächter, der die Armbrust auf ihn gerichtet hielt, stand fast nah genug, um ihn zu berühren – aber nur fast. Die Entfernung genügte, um einen Schuss abzugeben, bevor Warlock ihn erreichen konnte. Sie war gering genug, um ihn mit Sicherheit nicht zu verfehlen.
Nach einem gespannten Augenblick, in dem Warlock seine Chancen überschlug, Boots zu befreien und einen Ausbruch zu wagen, senkte er langsam die Rute und hob die Hände. Der Kommandeur der Truppe nahm eine deutlich entspanntere Haltung an.
»Kluge Entscheidung, Köter.« Er
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