Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
für eine Tortur muss Cayal durchmachen, sich so inständig den Tod zu wünschen, obwohl er weiß, dass das nicht sein kann.«
»Bei den Gezeiten, Shalimar«, fuhr Boots auf, »du klingst, als hättest du Mitleid mit ihm.«
»Das habe ich, ein wenig«, antwortete der alte Mann. »Es ist nicht genug, die Freiheit der Sklaven zu wollen, ich bedauere jedes leidende Wesen.« Unvermittelt lächelte er und zeigte eine Reihe unregelmäßiger Zähne, fleckig vom Alter und von der Preiselbeersoße. »Tatsächlich möchte ich diesem armen Schwein helfen, herauszufinden, wie er sich töten kann. Und dann möchte ich das Verfahren auf den Rest seiner gewissenlosen Gefährten anwenden und das ganze Pack loswerden.«
»Glaubst du, es gibt eine Möglichkeit, einen Unsterblichen zu töten?«, fragte Boots ohne aufzublicken. Sie war zu sehr damit beschäftigt, die Hühnchenknochen abzunagen und ja kein Fetzchen Fleisch zu übersehen, um den anderen ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken.
»Vielleicht«, Shalimar zuckte die Achseln. »Ich nehme an, was den Unsterblichen am wenigsten fehlt, ist Zeit, um das herauszufinden.«
»Sind sie alle wie Caval?«, fragte Warlock. »Suchen sie alle nach einem Ende ihrer endlosen Existenz?«
Shalimars Miene wurde nachdenklich. »Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung. Bis du mit ihm die Kerkerluft geteilt hast, wussten wir nicht mal, dass einer von ihnen sterben will. Es kann sich auch um eine Art zeitweiliger Geistesstörung handeln, die von der langen Zeit kosmischer Ebbe verursacht wurde. Der erste Duft der Flut könnte es mit sich bringen, dass wir ihn wieder vor Freude hüpfen sehen bei der Aussicht, uns ein weiteres Jahrtausend lang zu beherrschen.«
»Es kann noch ziemlich spannend werden, wenn dieser Zustand nicht nur vorübergehend ist«, bemerkte Boots.
»Inwiefern?«, fragte Warlock.
Sie stieß die Platte fort und rieb ihre schmierigen Finger an ihrem Kittel, um sie zu säubern. »Angenommen, er findet einen Weg zu sterben, und die anderen haben kein Interesse daran, ihm im Zustand der Leblosigkeit Gesellschaft zu leisten. Nach allem, was wir wissen, sind die Gezeitenfürsten übel genug, wenn sie sich nur gegenseitig verletzen. Was, wenn sie herausfinden, wie sie sich auch umbringen können?«
»Das wäre gar nicht so schlecht«, spekulierte Warlock. »Es würde ihre Zahl binnen kurzer Zeit auf die kleinstmögliche verringern.«
»Sie könnten dabei aber auch den Rest von uns mit sich nehmen«, gab Shalimar mit einem Stirnrunzeln zu bedenken. »Aber es bleibt ein interessantes Problem, über dem ich bestimmt die kommenden Wochen brüten werde, wie ich mich kenne. Wollt ihr morgen wiederkommen?«
Warlock blickte zu Boots, die nickte. »Wenn du willst.«
. »Ich würde gern mehr darüber hören, was Cayal dir über die Ewige Flamme erzählt hat.«
Warlock wollte schon erwidern, dass er alles berichtet hatte, was er wusste, aber dann blickte er auf den reich gedeckten Tisch und nickte. »Ich werde versuchen, mich an alles zu erinnern«, sagte er.
»Dann sehe ich euch morgen«, meinte Shalimar und erhob sich, um sie zur Tür zu begleiten. »Mal sehen, ob wir nicht alles darüber rauskriegen, wie man ein Unsterblicher wird, ja?«
»Was macht Shalimar eigentlich?«, fragte Warlock Boots ein wenig später, als sie zwischen den Bettlern und Huren der Slums in Richtung des Zwingers schlenderten. Es ging auf den Sonnenuntergang zu, und die Straßen waren belebter als früher am Tage. Sie begegneten Sklaven und Arbeitern, hörigen Crasii und freien Crasii aller Schattierungen, auch einem Canidenpaar, das es ungerührt von den Blicken der Passanten an der Wand einer der zahllosen über die Außenbezirke verstreuten Tavernen trieb. Warlock sah empört weg, seine Missbilligung nur gedämpft von der Erkenntnis, dass er selbst nicht anders war. Bei diesem Gedanken aber steigerte sich sein Abscheu zu einem Grad von Selbstekel. Die Gesichter des Paares verschwammen in seinem Geist, und seine gequälte Vorstellung ersetzte sie durch ihn selbst und seine Begleiterin an der Wand …
Boots bemerkte seinen Ausdruck und das kopulierende Paar, und weil sie keine Ahnung von der Richtung seiner Gedanken hatte, begann sie zu lächeln. Warlock sah weg, beschämt von seiner Schwäche und ihrer Belustigung.
Ungeachtet der Geräusche und Gerüche war Warlock ein bisschen überrascht, bei sich eine wachsende Vertrautheit mit den Horden von Leuten hier festzustellen. Angenehm war, dass er inzwischen
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