Falsche Froesche
Büro abholt, ist er mit einer nagelneuen Sporttasche bewaffnet. Er sei Ihrem Club beigetreten, verkündet er strahlend.
Toll, sagen Sie und lächeln tapfer. Die Vorstellung, fortan nicht einmal die geliebten Fitnessstunden, in denenSie Kraft und Ruhe tanken, alleine verbringen zu können, löst eine spontane Panikattacke aus. Er führt Ihren Schweißausbruch auf die sommerliche Hitze zurück, und so soll es sein. Um nichts in der Welt möchten Sie diesen lieben, guten, anhänglichen Menschen verletzen. Außerdem ist Ihre Panik ohnehin krankhaft. Dass Sie Zeit für sich brauchen, war Ihnen bisher zwar nicht problematisch erschienen, doch jetzt erkennen Sie: Im Grunde Ihres Herzens sind Sie eine asoziale Einzelgängerin. Dankbar wollen Sie die Chance ergreifen, gegen Ihre Störung anzugehen und sich zu einer normalen, gesunden Frau zu entwickeln.
HÖLLE
Sie fühlen sich in letzter Zeit erschöpft. Obwohl Sie weder mehr arbeiten noch weniger schlafen. Morgens um halb sieben, wenn der Wecker klingelt, verspüren Sie, einst frohe Frühaufsteherin, massive Unlust. Selbst nach Nächten, die Sie alleine und in Ruhe zu Hause in Ihrem Bett auf der Spezial-Relax-Matratze verbracht haben, kommen Sie nicht recht in Schwung. Sie schlagen die Decke zurück, schalten Ihr Handy an und trotten benommen Richtung Kaffeemaschine. In Ihrer linken Hand piepst es vier Mal. Das sind die Nachrichten, die er nachts hinterlassen hat. Alle immer dringend und mit der Bitte um alsbaldigen Rückruf versehen. Der Rückruf, den Sie gleich nach dem Frühstück erledigen wollten, erübrigt sich. Kaum haben Sie den ersten Löffel Müsli in den Mund gesteckt, zerstört die Melodie von »O sole mio« die morgendliche Stille. Wo ist die Zeit, da dieser Klingelton, den Sie einst wonnig für die Anrufe des Liebsten ausgesuchthaben, Ihr Herz erwärmte? Mittlerweile verursacht »O sole mio« reflexartige Magenschmerzen.
Untertags müssen Sie aus beruflichen Gründen telefonisch erreichbar sein. An manchen Abenden aber wagen Sie das Experiment, sich stundenweise auszuklinken. Eine lustvolle, jedoch sinnlose Aktion, wie drei Testläufe ergeben. Die paar kurzen Telefonate mit dem Lover hätten summa summarum weniger Zeit in Anspruch genommen als das Abhören seiner gesammelten Nachrichten.
Unter Vorspiegelung eines technischen Gebrechens teilen Sie mit, man könne derzeit leider Gottes keine Nachrichten auf der Mailbox hinterlassen. Sein Angebot, das Gerät zur Reparatur zu bringen, lehnen Sie dankend ab. Kein Problem für diesen Mann. Der sich dank beneidenswerter Flexibilität in kürzester Zeit zum Spezialisten für elendslange SMS entwickelt. So lästig das Lesen dieser Ergüsse auch sein mag, im Vergleich zum Abhören des Geschwafels auf der Mailbox fällt die nervliche Belastung gering aus. Was man von den gemeinsamen Besuchen im Fitnesscenter nicht behaupten kann.
Er weicht Ihnen nicht von der Seite. Logisch, dachten Sie beim ersten Mal. Er muss sich orientieren in dem fremden Club. Doch zeigt die Klette auch nach zwei Monaten keinerlei Eigenständigkeit. Besteigen Sie ein Fahrrad, schwingt er sich aufs Nachbarrad. Gehen Sie in die Sauna, watschelt er mit. Ja, sogar wenn Sie die Toilette aufsuchen, verspürt er zeitgleich massiven Harndrang. Ihre Selbstbeherrschung schwindet. An die Stelle rücksichtsvoller Höflichkeit tritt offensiv schlechte Laune. Die dem einfühlsamen Mann an Ihrer Seite nicht entgeht. Sie sind beruflich überlastet, Sie Arme, weiß er zu diagnostizieren,und sollten etwas leisertreten. Sie möchten nur noch schreien.
Das Fitnesscenter hat als Hort der Ruhe und Entspannung ausgedient. Reumütig reaktivieren Sie die Kontakte zu Ihren Freundinnen und nehmen wieder vermehrt berufliche Abendtermine wahr. Die telefonische Standardfrage − wie lange bleibst du? − mit dem gewohnt beherrschten »Das weiß ich jetzt noch nicht« zu beantworten, fällt zusehends schwerer. Wer will schon in aller Öffentlichkeit ausrasten. Doch kommt bald der Vormittag, da die Nervensäge drei Mal in Folge in eine Sitzung, bei der Sie in Erwartung eines dringenden Kundenanrufs erreichbar sein müssen, hineinklingelt. Beim vierten »O sole mio« heben Sie ab und brüllen übergangslos »Ruhe, hab ich gesagt« in den Hörer. Hüsteln am Konferenztisch. Nach der Besprechung nimmt Ihr Chef Sie zur Seite und legt Ihnen nahe, Urlaub zu machen. Sie brauchen keinen Urlaub, fauchen Sie. Worauf er meint: »Okay, dann sag ich’s anders. Wir brauchen Urlaub von
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