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Falsche Opfer: Kriminalroman

Falsche Opfer: Kriminalroman

Titel: Falsche Opfer: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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überwältigt. Er spürte, dass er weiß wurde. Er trat ans Fenster, versuchte es zu öffnen. Keine frische Luft wehte durchs Fenster herein. Es saß vollkommen fest.
    Der Große kam zu ihm und legte ihm den Arm um die Schultern. Es war keine freundschaftliche Geste – die hob er bis nach der Arbeit auf. Es war eine Kontrolle. Um zu sehen, wie stark er zitterte.
    Um zu sehen, ob er sich übergeben musste.
    Sie standen da zusammen, die Kindheitsfreunde aus dem kleinen Bergdorf im östlichen Serbien, und blickten hinunter zu der Bank auf der anderen Straßenseite. Man konnte glauben, dass sie Freunde waren.
    Ein kleiner, aber breitschultriger Mann mit einer Mütze auf dem Kopf betrat soeben die Bank.
    Ein kleiner, aber breitschultriger Mann mit einer Mütze auf dem Kopf betrat soeben die Bank. Er kratzte sich an der Stirn, während er eintrat, kratzte sich so, dass die Hand sein Gesicht verdeckte. Er sah sich einen Augenblick um. Große Innenstadtbank. Noch nicht in eine Bürolandschaft verwandelt. Halb elf: wenig Betrieb. Vier Kunden, keiner von ihnen ein potentieller Held. Drei Kameras. Er fixierte ihre Reichweite, zog die schwarze Mütze übers Gesicht und sah durch die Augenschlitze einer Räubermaske.
    Im gleichen Augenblick, in dem die anderen hereinstürmten, zog er eine Pistole und zerschoss die drei Kameras. Es waren nur drei Schüsse nötig.
    Einer der anderen stand Wache an der Tür. Er konnte mit Mühe und Not seine Maschinenpistole heben. Zwei gingen mit erhobenen Waffen zum Tresen.
    Einer von ihnen trug eine goldfarbene Räubermaske. Er sagte deutlich: »Wir sind uns bewusst, dass sie Alarm ausgelöst haben. Also bitten wir Sie, diese beiden Taschen schnellstens zu füllen. Sie haben eine halbe Minute Zeit, dann fangen wir an, die Kunden zu erschießen.«
    Die Taschen wurden schnell gefüllt. Niemand schrie, keiner gab einen Laut von sich. Ein merkwürdiges Schweigen herrschte im Raum. Als hätten alle instinktiv erkannt, dass die Stimme es ernst meinte.
    Auf dem Weg nach draußen nahmen sie ihre Gesichtsmasken ab, legten eine Kette um die Handgriffe der Türen und schlössen mit einem Vorhängeschloss ab.
    Mit zwei Taschen über den Schultern gingen die vier Männer ruhig die Straße hinunter und bogen in eine Querstraße ab. Keiner bemerkte, dass der eine Mann sich kaum aufrecht halten konnte.
    Der kleine, aber breitschultrige Mann mit Mütze verließ soeben in Gesellschaft einer jungen Blondine die Bank. Er steckte die Brieftasche in die Innentasche seines Jacketts und zerzauste der Blondine das lange Haar, bevor sie mit einer Umarmung auseinander gingen.
    Der Große zeigte auf ihn. »Wahrscheinlich hat er in der Bank seine Tochter getroffen. Eine zufällige Begegnung. Seine Tochter. Verstehst du mich, Ljubomir?«
    Ljubomir begegnete dem Blick des Großen. Er drang in ihn ein wie ein Schlagbohrer.
    Der Große fuhr fort: »Diese Wohnung ist ein Spähposten und nichts anderes. Alles andere Ljubomir, musst du aus deinem Bewusstsein auslöschen. Von hier aus sehen wir alles. Früher oder später kommen sie hierher, und dann werden wir sie fangen. So einfach ist es. Niemand trickst Rajko Nedic aus, Ljubomir, und niemand verrät ihn. Ich möchte, dass du das wirklich verstehst.«
    Ljubomir nickte. Er verstand. Er verstand genau.
    Und dennoch wollte sein Bewusstsein sich nicht säubern lassen.

32

    S ie waren einander so nah, wie man einander kommen kann. Die Jalousien vermochten die Sonne nicht aufzuhalten. Dennoch lagen sie eng aneinandergedrückt. Ihre Körper sollten sich mit der größtmöglichen Fläche berühren. Die Wärme konnte nie drückend werden.
    In der Wohnung in der Surbrunnsgata waren vierzig Grad.
    Sie hatten etwas getan, was noch keiner von ihnen je getan hatte. Sie hatten geschwänzt. Sich plötzlich, wie auf einen gemeinsamen, gleichzeitig empfangenen Impuls hin, nach Hause begeben und sich geliebt. Wie auf Befehl einer höheren und wichtigeren Instanz, als es der Reichspolizeichef war.
    Beide erkannten – ungefähr gleichzeitig –, dass sie in einer gefühlsmäßigen Wüste von Arbeit und nichts als Arbeit gewandert waren und dass sie erst jetzt die Oase erreicht hatten, nicht eine erneute Fata Morgana, sondern wirklich die Oase. Dort gedachten sie zu bleiben. Dort wollten sie ihre Pfähle einschlagen.
    Nichts anderes würde sie von ihren Pflichten losreißen können.
    Nur dies. Eine höhere Pflicht. Ein höheres Recht.
    Sie mussten einander in- und auswendig kennen lernen, aus- und

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