Falsche Schritte, dunkle Pfade (German Edition)
stellte ihr ein Brotzeitbrett mit etwas kaltem Braten, Gurken, Brot und Käse auf den Tisch.
„Danke“, sagte sie.
„Willst auch was trinken?“
„Ein Helles, bitte.“
„In Ordnung, kommt sofort.“
Während sie hungrig ihr spätes Abendessen verzehrte und ihr Bier trank, bemerkte sie ein paar Mal, dass die Dame am Nebentisch, die ihren Whisky mittlerweile ausgetrunken hatte, zu ihr herüber starrte. Sie hatte einen traurigen Blick in ihrem ansonsten hübschen Gesicht. Höchstens die tiefen Ringe unter ihren Augen störten ein bisschen, aber die sahen eher aus wie die Folgen von zu wenig Schlaf als wie eine permanente Erscheinung. Sie war blond, ihre Haare waren lang und äußerst glatt. Sie trug einen weißen Hosenanzug, der sie wie eine Geschäftsfrau aussehen ließ. Immer wenn das Mädchen ihren Blick bemerkte und rüber sah, schlug die Frau ihren Blick nieder und blickte wieder in ihr leeres Glas, so als ob sie damit rang, ihre Tischnachbarin anzusprechen.
Als das Mädchen schließlich aufstand, erhob sich die Dame am Nebentisch auch.
„Du suchst eine Mitfahrgelegenheit, was, Kleine?“, fragte sie plötzlich.
Sie drehte sich überrascht um.
„Ja stimmt“, sagte sie verdattert.
„Und wo soll es hingehen?“
„Irschenberg. Oder zumindest Tölz, wenn Sie da hinfahren.“
„Irschenberg, hm? Nur bis dahin oder noch ein bisschen weiter?“
„Na ja, Richtung Salzburg eben.“
„Da hast du Glück. Das liegt auf meinem Weg.“
„Wirklich? Sie fahren bis nach Salzburg?“
„Viel weiter. Ich muss nach Wien.“
„Nach Wien? Könnten ... könnten Sie mich bis dorthin mitnehmen?“
Die Frau lachte. „Ich dachte, du wolltest Richtung Salzburg?“
Das Mädchen blickte zu Boden.
„Du möchtest einfach nur weit weg von hier, oder?“
Sie nickte.
„Soll nicht das Problem sein. Ich nehm’ dich mit nach Wien.“
„Wirklich?“, fragte sie erfreut. „Das wäre ja toll! Aber sagen Sie ... wollen Sie wirklich noch so weit fahren? Ich meine ...“
Sie blickte in Richtung des Whisky-Glases.
Die Dame lächelte. „Keine Sorge, ich hatte nur den einen.“
Aus dem Augenwinkel konnte das Mädchen sehen, wie der Wirt den Kopf schüttelte und ihr mit der Hand „vier“ zeigte. Sie zögerte einen Moment, sagte sich dann aber, dass eine solche Gelegenheit so schnell nicht wieder kommen würde. Außerdem sah die Frau nicht betrunken aus.
„Na dann“, meinte das Mädchen daher. „Steht Ihr Auto draußen?“
„Natürlich. Ich zahl noch schnell für uns beide.“
„Aber nein, das müssen Sie doch nicht.“
„Mach ich doch gerne. Dafür erzählst du mir auf der Fahrt, warum du es so eilig hast, von hier weg zu kommen. Einverstanden?“
Sie war eigentlich nicht in der Stimmung, über sich zu plaudern. Trotzdem wollte sie es sich mit ihrer Mitfahrgelegenheit nicht gleich verscherzen, darum nickte sie.
Der Wagen war ein blauer Mercedes. Was für einer, wusste sie nicht. Sie hatte sich nie sonderlich gut mit Autos ausgekannt. Er hatte ein Tölzer Kennzeichen. Die Dame war vom Typ her eher eine Städterin und wenn sie aus Tölz käme, wäre sie nicht in die entgegengesetzte Richtung gefahren, um nach Salzburg zu kommen. Also kam sie vermutlich aus Wolfratshausen. Eine andere größere Stadt im Landkreis fiel ihr momentan nicht ein.
„Willst du mir jetzt nicht endlich mal deinen Namen verraten?“, fragte die Fahrerin, nachdem sie sich angeschnallt hatten.
„Lina“, sagte das Mädchen spontan. Das war gelogen. Lina war ihre beste Freundin in der Schule, aber was kümmerte das diese Frau? Sie würde ihr ohnehin noch viel erzählen müssen, da musste sie nicht auch noch ihren richtigen Namen wissen.
„Hübscher Name“, meinte die Dame und fuhr los.
„Und ... wie soll ich Sie ansprechen?“, fragte „Lina“.
„Nenn mich einfach Flori, das ist schon in Ordnung.“
„Flori? Soll ich Sie wirklich so nennen?“
„Das ist mein Name. Floriane eigentlich, aber das ist ein bisschen zu lang.“
Sie ließen Einöd hinter sich und tauchten in die nächtliche Schwärze auf der Staatsstraße.
„Erzähl mir doch mal, wer dir das Ding verpasst hat“, meinte Flori nach einer Weile.
„Meine Mutter“, sagte das Mädchen, das sich nun Lina nannte, leise.
„Deine Mutter? Aber offenbar bist du doch volljährig, sonst hätte der Gastwirt vorhin deinen Ausweis nicht akzeptiert.“
„Ich bin neunzehn.“
„Neunzehn, soso. Und deine Mutter findet es richtig, dich mit neunzehn noch zu
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