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Falsche Schritte, dunkle Pfade (German Edition)

Falsche Schritte, dunkle Pfade (German Edition)

Titel: Falsche Schritte, dunkle Pfade (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kimmelmann
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Strähnen über ihr milchweißes Gesicht. Sie atmete etwas flach, da sie einfach schon zu lange gelaufen war. Außerdem sehnte sie sich nach einer Dusche. Ihre Haare und ihre Kleidung klebten schweißnass an ihr und sie fragte sich, ob sie überhaupt jemand mitnehmen würde, so ranzig wie sie roch. Dass es auch noch so heiß sein musste! Sie hatte sich ohnehin schon so luftig angezogen. Sie trug nur eine kurzärmlige weiße Bluse und einen braunen Rock, der ihr bis zum Knie ging und damit viel länger war als die Röcke, die sie sonst bevorzugte. Aber beim Trampen an der Autobahn wollte sie sich keine Schwierigkeiten einhandeln.
    Ein objektiver Betrachter mochte sie auf höchstens siebzehn schätzen, obwohl sie schon neunzehn war. Die kindlichen Züge in ihrem Gesicht hatten sie schon immer gestört. Aber man ist eben so, wie man ist, sagte ihre Mutter immer. Mutter. Die würde sie wohl auch nicht wiedersehen, worüber sie froh war.
    Sie versuchte gleichmäßiger zu atmen, während sie die Wiesen, Felder und Bäume um sich herum betrachtete, die an diesem heißen Augustabend im letzten Licht der rotglühenden untergehenden Sonne viel geheimnisvoller aussahen als sie es ihr bisheriges Leben empfunden hatte. Es war doch einfach nur die Gegend, in der sie aufgewachsen und aus der sie nie wirklich herausgekommen war. Das sollte sich jetzt ändern. Eigentlich wollte sie sich darüber freuen, aber sie empfand nur Leere. Nie hätte sie gedacht, dass sie ihre Heimat zu Fuß verlassen würde, ohne ein konkretes Ziel. Nur Verlierer traten so ab. Sie war gescheitert, darüber war sie sich im Klaren. In ihrer Familie. In der Liebe. Im Leben.
     
    Sie wusste nicht, wie lange es gedauert hatte, bis sie dieses kleine Fünf-Häuser-Dorf, das kurioserweise auch noch Einöd hieß, erreicht hatte. Sie war schon ein- bis zweimal mit dem Auto ihrer Eltern hier durchgekommen und wusste, dass es eine Gastwirtschaft gab. Sie starb für eine Kleinigkeit zu Essen.
    Es war nicht viel los in der Gaststube, als sie eintrat. Ein paar Kartenspieler saßen um den Stammtisch im vorderen Teil des Raumes herum, etwa mittig befand sich ein junges Pärchen an einem kleinen Tisch und an einem noch kleineren Ecktisch im hinteren Teil des Raumes saß eine Frau um die Vierzig allein vor einem gut gefüllten Whisky-Glas.
    Das Mädchen wischte sich in Gedanken die klebrigen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Erst eine halbe Sekunde später wurde ihr bewusst, dass dies ungeschickt gewesen war. Offenbarte sich doch nun vor aller Augen das Einzige in ihrem Gesicht, was sie derzeit noch mehr hasste als ihre kindlichen Züge: die bläulich geschwollene rechte Wange.
    Die Kartenspieler sahen sie etwas mitleidig und sicher auch mit einer Portion Misstrauen an, das Pärchen und die Frau in der Ecke beachteten sie nicht. Sie beschloss, sich nicht auf irgendwelche anzüglichen Sprüche der Männer am Kartentisch einzulassen und schritt hoch erhobenen Hauptes auf die Theke zu, hinter der ein dicker älterer Mann stand, der der Wirt zu sein schien.
    „Haben Sie noch etwas zu Essen?“, fragte sie zaghaft.
    „Bist du nicht etwas zu jung, um jetzt noch auf der Straße zu sein?“, fragte der Mann hinter dem Tresen. „Sollte ich vielleicht deine Eltern anrufen?“
    Mit einer kurzen Handbewegung zog sie ihren Ausweis aus der Seitentasche ihres Rucksacks und zeigte ihn ihrem Gegenüber. Dieser nickte kurz, so dass sie ihn wieder wegsteckte.
    „Ist schon halb elf durch, Mädel“, brummte der Wirt und warf ihr einen undefinierbaren, aber nicht unfreundlichen Blick zu. „Wir machen bald zu.“
    „Also nichts mehr?“, fragte das Mädchen noch einmal, etwas leiser.
    „Na gut, weil du es bist“, meinte der Wirt und zuckte mit den Schultern, während er ein Weißbierglas abtrocknete. „Gibt aber nur noch kalte Brotzeit.“
    „Das ist okay“, sagte sie und strahlte.
    „Na, dann setz dich irgendwo hin. Ich bring es dir gleich.“
    Sie blickte sich im Raum um, wo sie am besten Platz nehmen konnte. Sie entschied sich dafür, dass sie so weit wie möglich von den Männern weg sitzen wollte. Also wählte sie einen Ecktisch im hinteren Bereich, gleich neben dem, an dem die Frau mit dem Whisky saß. Diese blickte versonnen in ihr Glas und sah nur kurz auf, als das Mädchen an ihr vorbei ging. Sie sah den verwunderten, fast erschrockenen Blick in den Augen der Frau. So eine blau verfärbte Wange war eben kein schöner Anblick.
    Kaum hatte sie sich hingesetzt, kam schon der Wirt und

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