Falsche Zungen
war auf die Idee gekommen, seine Frau zu holen, von einer Hebamme mit Mohnkapsel ganz zu schweigen. Sicherlich, es war gut gemeint, ein paar Geschenke mitzubringen. Aber mußten es ausgerechnet lebendige Lämmer sein! Geschlachtet und ausgenommen, besser noch, gekocht oder gebraten, wären sie viel nützlicher gewesen. Auf die Idee, daß man Weihnachten ganz gern eine Gans essen würde, kam auch keiner. Und ist es nicht naheliegend, ein paar Meter gewebten Wollstoff mitzubringen statt eines Bergs ungesponnener Rohware? Stundenlang wurde mit Joseph über die Reiseroute und das Alter des Esels debattiert, anstatt rasch ein Mutterschaf zu melken. Und wie sie alle den Stern anglotzten! Natürlich verdanke ich jenem Stern auch den Besuch der Heiligen Drei Könige. Ich will es mir ersparen, über ihre Geschenke herzuziehen, immerhin kann man sie bei Gelegenheit verkaufen. Jedenfalls war keine einzige Windel dabei.
Anfangs habe ich von einem Stall voller Kinder gesprochen, aber der Stall war natürlich nicht wörtlich gemeint. Leider ist es insofern fast wahr geworden, als ich in einem Stall hause, wenn auch mit einem einzigen Kind. Wahrscheinlich wird das geniale Arrangement der Jungfernzeugung kein zweites Mal zustande kommen, und ich werde nie ein Mädchen kriegen. Die Männerwirtschaft wird also kein Ende nehmen; ich werde weiterhin alle bedienen müssen, ohne Tochter, die mir auf meine alten Tage zur Hand geht.
Mein kleiner Junge heißt Jesus. Dieser Name wurde ebenfalls von oben angeordnet, obwohl mir persönlich David besser gefallen hätte. Über meinen Sohn läßt sich eigentlich nichts Negatives sagen, obwohl er an all der Aufregung schuld ist. Er ist - Gott sei Dank - relativ pflegeleicht.
Wenn ich an die vielen Kleinkinder denke, die ich als Babysitterin betreut habe, dann schneidet er gut ab. Wenig Geschrei, guter Appetit, fester Schlaf. Auch Joseph sollte mehr als zufrieden sein. Aber, wie alte Männer halt sind, ständig gibt es was zu meckern. Er zeigte sich noch nicht einmal dazu bereit, das Kindlein zu wiegen - er habe Gichtknoten an den Händen, war seine windige Entschuldigung.
Als Jesus zwei Wochen alt war, wurde ein Fest gefeiert. Die Könige hatten - als ob sie nicht schon genug Überflüssiges mitgeschleppt hätten - ein Fäßchen Wein dabei. Einer der Hirten spielte ganz nett auf seiner Doppelrohrflöte.
Es braucht sich nicht unbedingt herumzusprechen, aber ganz unter uns, muß ich es einmal sagen: Es kam zu einem regelrechten Besäufnis. Und der empfindliche Joseph, der doch seinen Schlaf so dringend brauchte, war die ganze Nacht der Lauteste von allen. Nicht etwa daß man mit Esel, Weinfaß und Flöte ein Stück weitergezogen wäre, nein - direkt im Stall wurde gefeiert. Man behauptete, mich und den Kleinen nicht allein lassen zu können. In Wahrheit waren sie zu faul, und bald waren sie auch zu torkelig. Anfangs sangen sie noch ganz hübsche Weihnachtslieder, aber schon bald ging es in solches Gegröle über, daß mein Jesulein brüllte.
Nein, so ein rücksichtsloser Typ soll mein Sohn niemals werden. Ich werde ihn ganz anders erziehen und dafür sorgen, daß er kein Macho wird. Und wenn er selbst einmal Vater ist und mich zur Großmutter macht, dann wird er sehr wohl seine Kindlein wiegen. Das werden wir ja sehen!
Nachweis
Mütter mit Macken
>Falsche Zungen<, Erstveröffentlichung >La Barbuda<, Erstveröffentlichung
>Der gelbe Macho< erschien erstmals in Die Schönen und die Biester, hrsg. v. Anna Rheinsberg u. Jutta Siegmund-Schulze, Hoffmann und Campe, Hamburg 1995 >Das Wunschkind<, Erstveröffentlichung >Maiglöckchen zum Muttertag<, Erstveröffentlichung
Hobbys und Handarbeiten >Stich für Stich< erschien erstmals in Emma, Heft Nov./Dez. 1996 >Die blaurote Luftmatratze< erschien erstmals in Süddeutsche Zeitung Magazin, 26.7.1996
>Der Schnappschuß< erschien erstmals in Was man sich in den Tälern erzählt. Geschichten aus dem Tessin, hrsg. von Gerwig Epkes, Grappa Edition Isele, Eggingen 2001
>Der Autogrammsammler< erschien erstmals in Spiegel Special, 4/2002
>Fisherman’s Friend< erschien erstmals in Stich für Stich, Diogenes Verlag, Zürich 1997
Lausige Liebhaber
>Die Sekretärin< erschien erstmals in Cosmopolitan, München, Juli 1998, unter dem Titel >Weggefährten<
>Herr Krebs ist Fisch< erschien erstmals in Skrupellose Fische, hrsg. von Thea Dorn, Uta Glaubitz und Lisa Kuppler, Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2000
>Nasentropfen< erschien erstmals im
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