Die Hüter der Unterwelt - Die Seele der Schlange (German Edition)
Prolog
„Viper ...“
Ein Zischeln, verzehrendem Feuer gleich. Bezwingend, ewiglich, samtweich wie das Schnurren einer Höllenkatze.
Und die Schlange gehorcht.
Als Wolf streifte Viper durch sein Reich, doch nun ist es der Klang menschlicher Schritte, der die Stille durchbricht.
Spielend und beherrscht wandern seine Stiefel über die obsidianschwarzen Fliesen, Flammenschein ruht auf langem, silberhellem Haar.
Sein Herrscher erwartet ihn vor dem eisblauen Kaminfeuer, eine einsame Silhouette, die stetig mit dem Dämmerlicht verschwimmt. Nur die Schatten umschlingen zärtlich seinen schlanken Rücken, weben Umhänge aus Nacht und Seide.
„Warum diese Gestalt, mein Bruder?“, fragt er, ohne sich zu dem Dämon umzuwenden. „Das Lied der Sirene hört jedes Wesen auf die gleiche Weise.“
„Das Lied der Sirene?“ In seiner eigenen Stimme vernimmt Viper nur mildes Interesse. Zu stärkeren Gefühlsregungen ist er schon seit Jahrtausenden nicht mehr fähig.
Einen Herzschlag später lodern die Flammen vor ihm auf und Funken stieben aus der Glut, umspielen den Dämon und seinen Meister im wirbelnden Tanz.
Die erwachende Melodie erfüllt all seine Sinne. Von solcher Schönheit, Trauer, Reinheit und ungezähmten Zorn, dass sie einem Feuersturm gleicht. Nach süßer Erinnerung klingt die Klage des Mädchens, dem wilden Singen eines Herzens und des Glückes Verlust...
Der Schlange entfährt ein entsetztes Keuchen, als jene unbekannte Sehnsucht sich mit seiner Kälte verflicht. Augenblicklich jedoch bezwingt er das Feuer und blickt gleichgültig in den ersterbenden Funkenregen
„Ich will sie!“ Fragend blickt Viper seinen Bruder an. Luzifers Augen blitzen wie lichtloser Onyx.
„Ihre Stimme vermag Seelen zu binden, und die ihre strahlt heller als der Mond. Bring sie mir, Viper!“
Der Dämon verbeugt sich elegant und verdrängt einen plötzlichen Hauch des Widerwillens, der ihm so verwirrend und fremd zugleich erscheint.
„Jawohl, mein Meister.“
Sein Verschwinden hinterlässt nichts außer dem Geruch von kalter Asche.
Glück wie Glas
Der Wind sang zischend in Catharinas Ohren, erfüllte all ihre Sinne und verflocht ihr langes Haar mit der wirbelnden Mähne ihres Hengstes. Nox glitt einem schwarzen Blitz gleich zwischen den Stämmen der mächtigen Eichen hindurch, ihre Körper verschwammen schattenhaft im Dämmerlicht. Der geschmeidige Schimmel jedoch leuchtete mondhell vor Catharina, und auch das Lachen ihres Vaters zeigte ihr den Weg.
„Betrüger!“, rief sie übermütig gegen den Wind und das Donnern der Hufe an. „Ich hatte noch nicht einmal meine Zügel gerichtet!“
„Pah!“ Sein raues Lachen wollte nicht recht zu diesem spitzbübischen Hinterhalt passen, auch seine muskulösen Schultern taten dies nicht.
„Lass deinem alten Herrn etwas Vorsprung, Cathi!“
Catharina beugte sich mit geröteten Wangen über Nox` Hals und vergrub die Hände tief in seiner schwarzen Mähne. Ihr Lächeln erstrahlte unbändig und frei, als sie den Rappen noch weiter antrieb und den Frühlingswald an sich vorbeirauschen sah.
Beinahe glaubte sie, zu fliegen.
Und wieder sang ihr Herz. Ein Gefühl, das ihr allein Nox´ wilde Sprünge, ihre Träume und ihre Stimme zu schenken vermochten. Catharinas Seele wollte die Arme ausbreiten und springen, auf dass ihr Flügel wüchsen und sie sich in die Lüfte schwingen würde, um mit dem Wind zu tanzen.
Plötzlich vernahm sie das vertraute Knistern im Nacken, fühlte ein zartes Streicheln an ihren Schläfen. Doch längst zuckte sie nicht mehr angstvoll zurück, denn ihr Vater kannte seine geliebte Tochter, ebenso wie jene Zeichen, die sie unter den Menschen unweigerlich zur Hexe erklärten.
Als sie noch jünger gewesen war, hatte sie geglaubt, die fuchsroten Federn entsprängen allein ihrer Fantasie und fürchtete sich nicht vor dem angeblichen Spiel ihrer Sinne. Welches Kind tat das schon?
Aber auch heute noch tanzten die Federn zwischen Catharinas flammenden Haarsträhnen, wenn sie im letzten Licht des Tages sang oder ihre Gefühle sie auf ungestümen Schwingen davontrugen.
Und selbst jetzt konnte die junge Frau der Versuchung nicht widerstehen und summte eine leise Melodie, an ihren schönen Hengst gewandt. Nox´ Ohren spielten ruhelos, als wolle er jeden süßen Klang einfangen wie die Frühblüher das milde Sonnenlicht.
Seine Beine bewegten sich nun in einem noch schnelleren Rhythmus und sein vergnügtes Schnauben umwob ihr Herz.
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