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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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zu greifen, aber er glitt mir aus den tauben Fingern.
    »Was soll der Scheiß?«, fragte Leo.
    »Es sind meine Hände«, antwortete ich hastig. »Sie sind taub von den Fesseln.«
    »Lassen Sie sich Zeit«, sagte Shell großzügig.
    Nach ein paar Minuten konnte ich die Nummer eintippen. Sobald es klingelte, hob Shell den Hörer eines zweiten Apparats ab.
    Es klingelte sieben Mal, bevor Hush antwortete.
    »Hallo?«, fragte er.
    »Hast du das Mädchen, Brennan?«
    »Das weißt du doch«, sagte er lässig.
    »Ich muss sie sehen.«
    »Klar.«
    »Wo hast du sie versteckt?«
    »Kennst du den privaten Friedhof in Hicksville?«
    »Ja.«
    »Komm nach Sonnenaufgang zum Tor, dann drück ich dir auf.«
    Er legte auf, und ich atmete tief durch.
    Ich blickte in Shells Augen. Er fragte sich – und ich fragte mich das auch –, ob er mich gleich an Ort und Stelle umbringen sollte. Das wäre viel leichter gewesen. Und auf jeden Fall sicherer.
    Aber er wusste nichts über den Friedhof, außer dass das Tor verschlossen war.
    »Wo ist dieser Friedhof?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich will raus aus der Sache«, sagte ich.
    »Für wen arbeitet ihr?«
    »Für das Mädchen.«
    »Den Leuten bei der Regents Bank haben Sie erzählt, Sie würden für eine Gruppe arbeiten.«
    »Es sind nur wir beide. Nur ich und Brennan.«

55
    Bis wir in Hicksville ankamen, war es Tag.
    Wir fuhren in einem dunkelgrünen Lexus. Leo, das Mammut, saß am Steuer, Shell auf dem Beifahrersitz. Ich lag auf dem Boden vor der Rückbank, an Händen und Füßen gefesselt und froh, so misshandelt zu werden.
    Froh, weil die einzige Alternative zu diesen Unannehmlichkeiten mein Tod gewesen wäre.
    »Okay«, sagte Shell. »Wir sind jetzt auf dem North Broadway. Wohin jetzt?«
    »Fahren Sie noch vier Blocks weiter bis zur Lathrop Street und biegen dann rechts ab. Folgen Sie der Straße vorbei an den Häusern, bis Sie zu einer großen Mauer mit einem Tor kommen.«
    Die Nummer, die ich angerufen hatte, war die Nummer . Ich war auf die Idee gekommen, als Alphonse Rinaldo mir die spezielle Notrufnummer für das Elitesonderkommando des NYPD gegeben hatte. Ich fand, ich sollte meine eigene persönliche Notrufnummer haben.
    Zu diesem Zweck hatte ich für Hush und mich zwei spezielle Handys gekauft. Wie kleine Jungen, die einen Club gründen, hatten wir uns Codewörter ausgedacht. Meine lauteten Tolstoy, Nikita, Dimitri und John-John. Alles andere bedeutete: »Hol mich hier raus!«
    Damit ging ich ein großes Risiko ein. Ich wollte, wenn irgend möglich, nichts mit einem Mord zu tun haben. Hush wusste das, aber er war auch ein psychopathischer Killer, seinem Wesen nach und von Berufs wegen – selbst wenn er mittlerweile im Ruhestand war. Wir waren Freunde, und er respektierte mich, trotzdem war der Drang zu töten für ihn ganz natürlich, und deswegen hatte ich diese Nummer zum ersten Mal gewählt.
    Der Wagen blieb stehen.
    Zwei Minuten lang wurde kein Wort gesprochen.
    »Das gefällt mir nicht«, knurrte Leo.
    »Wer ist dieser Brennan?«, fragte mich Shell.
    »Er arbeitet manchmal als Bodyguard für mich. Sein Cousin ist der Verwalter des Friedhofs.«
    In Wahrheit war der Verwalter ein Mann, den Hush, nachdem er ihn wochenlang im Visier hatte, letztendlich verschont hatte. Es war eine lange und verworrene Geschichte, die etwas mit einem Hund und einem kleinen Mädchen zu tun hatte. Der Mann zahlte Hush ein Vermögen, und der Mörder half ihm, eine neue Identität aufzubauen.
    »Würden Sie ihm Ihr Leben anvertrauen?«, fragte Shell. »Wir werden nämlich unsere Waffen auf Sie gerichtet halten.«
    »Er hat bestimmt auch eine Waffe«, sagte ich. »Aber bevor er schießt, wird er reden.«
    Diese Worte pflasterten den Weg für weiteres minutenlanges Schweigen.
    Ich nutzte die Zeit, um meinen Frieden damit zu schließen, was Mammut und Shell zustoßen würde. Ich war nicht wütend auf sie. Sie hatten mich gefoltert, aber ich hatte mit Patrick das Gleiche getan.
    Und Schlimmeres.
    Vor vielen Jahren hatte ich einmal das Leben einesjungen Mädchens zerstört, das zu einer Frau heranwuchs, die sich Karma nannte. Karma stand immer wieder aus ihrem ruhelosen Grab auf, um mir zurückzugeben, was ich ausgeteilt hatte.
    Aber hier ging es nicht um mich. Es ging um Angie. Shell war einer ihrer Verfolger, den sein verdientes Los erwartete. Wenn möglich, würde ich ihn und seinen behaarten Freund retten, aber was konnte ich tun, solange mir die Hände und Füße gebunden

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