Fame Junkies
die ganze Zeit Mut zu und sagte, ich solle Geduld haben, aber das sagte sich so leicht. Ich hatte das Gefühl, als würde alle Welt etwas von mir erwarten, was ich nicht liefern konnte. Als wäre ich eine Blenderin, ein »One-Hit-Wunderkind«. Würden diejenigen, die von Anfang an Zweifel gehabt hatten, letzten Endes Recht behalten? War ich wirklich nur ein Mädchen mit einer Kamera, das zufällig zweimal im richtigen Moment auf den Auslöser gedrückt hatte?
***
Es wurde April. Im Washington Square Park tüpfelten die ersten gelben und violetten Krokusse den Rasen und an den Bäumen sprossen zarte grüne Knospen. Die New Yorker strömten ins Freie, spielten Frisbee oder sonnten sich. Ich saß bei Nasim im Wohnzimmer, wo er am Flügel Bartoks Allegro Barbaro übte. Er hatte bald ein Vorspiel und war schrecklich nervös, weil es für ihn als Perfektionisten nichts Schlimmeres gab, als vor Publikum aufzutreten. Der Gedanke, sich womöglich öffentlich zu blamieren, löste bei ihm kalten Angstschweiß aus. Dementsprechend verbissen übte er jedes Mal Monate im Voraus, um sich auch ja keine Blöße zu geben.
Weil das Konzert schon in einer Woche stattfinden würde, hatte er mich gebeten, Publikum zu spielen, während er das fünfzehnminütige Stück ohne Unterbrechung mehrmals komplett durchging. Er hörte nicht auf, wenn er einen Fehler machte, weil es auch einer gewissen Übung bedarf, sich nicht so verunsichern zu lassen, dass man aus dem Takt gerät, falls man sich einmal verspielt. Ich saß, die Knie ans Kinn gezogen, auf der breiten Fensterbank, schaute auf den Park hinaus und fragte mich, welche Promis da unten wohl gerade einen Kinderwagen die Straße entlangschoben oder mit einer neuen Liebe Hand in Hand durch die Stadt bummelten. Okay, ich gebe es zu – ich hatte Hummeln im Hintern. Ich wollte raus und endlich wieder Bilder schießen.
Auf mir lastete ein wahnsinniger Druck, der nicht eingebildet war. Wenn ich Carla in letzter Zeit anrief, meldete sich immer öfter nur ihr Anrufbeantworter, was ich als eindeutiges Zeichen dafür wertete, dass ihre Geduld mit mir allmählich zur Neige ging. Mir war klar, dass ich die mir zugestandene Dosis an Trost und Zuspruch langsam ausgeschöpft hatte und sie dazu übergegangen war, einfach nicht mehr ans Telefon zu gehen, sobald sie meine Nummer im Display sah. Und ehrlich gesagt machte mir das eine Scheißangst. Wenn ich ihr jetzt schon auf die Nerven ging, würde es nicht mehr lange dauern, bis sie mich aus ihrer Kartei tilgen würde, und ich konnte es mir definitiv nicht leisten, sie als Agentin zu verlieren.
Nasim hämmerte die Schlussakkorde in die Tasten und fing praktisch nahtlos wieder von vorne an. Obwohl der ganze Raum von der wunderschönen Musik erfüllt war, schaffte ich es einfach nicht, mich voll und ganz auf sein Spiel zu konzentrieren und ihm durch meine Anwesenheit die moralische Unterstützung zu geben, die er sich wünschte. Meine innere Unruhe und die nagenden Selbstzweifel waren zu groß.
Ich zuckte erschrocken zusammen, als plötzlich mein Handy in der Hosentasche vibrierte. Nasim spielte so selbstvergessen, dass er nichts mitbekam, also zog ich es heraus und warf verstohlen einen Blick darauf. Es war Carla! Bedeutete das womöglich, dass sie einen dringenden Auftrag für mich hatte? Ich glitt leise vom Fensterbrett. Nasim blickte sofort von seinem Notenblatt auf und runzelte die Stirn, spielte aber weiter. Ich warf ihm einen entschuldigenden Blick zu, schlich mich auf Zehenspitzen in die Küche, zog die Tür hinter mir zu und rief Carla zurück.
»Was gibt’s?«
»Sitzt du gerade?«, fragte sie mit der atemlosen Stimme, die sie immer hatte, wenn etwas Gutes passiert war. »Wenn nicht, dann setz dich und hör dir das an. Ich habe gerade einen Anruf von Roxanne Pena bekommen, das ist die PR-Beraterin von Alicia Howards. Alicia kommt nächste Woche nach New York, weil sie in der Late Show auftritt. Sie will in ihrer freien Zeit ein bisschen shoppen gehen und sich von L.A. erholen … und du sollst sie fotografieren.«
Ich bekam sofort eine Gänsehaut. »Ich?«
»Roxanne sagt, Alicia hätte dich in der Tonight Show gesehen und wäre davon überzeugt, dass ihr auf einer Wellenlänge seid. Wahrscheinlich gefällst du ihr, weil ihr im gleichen Alter seid.«
»Heißt das, dass ich sie die ganze Zeit mit der Kamera begleiten darf?«
»Nicht überallhin. Du weißt ja, welche Art von Fotos die PR-Leute wollen. Alicia beim Einkaufen. Alicia im Zoo.
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