Familienpackung
Schließlich wollte ich ja genau das, was ich jetzt habe. Einen Mann, Kinder, ein eigenes Haus – ein geregeltes Familienleben eben. Jetzt habe ich es und bin mir nicht mehr sicher. Ähnlich wie wenn man sich ein Buch leiht, denkt, es sei ein Krimi, und dann endet es in einer Komödie. Oder umgekehrt.
»Mama böse?«, fragt Mark. Ich schaue meinen Sohn an und schmelze dahin. Was bin ich nur für ein seltsames Exemplar der Gattung Mutter. So unentschlossen. So wankelmütig. Ich ziehe den Kleinen auf meinen Schoß und wir kuscheln eine Weile. Er fühlt sich warm an, drückt mir nasse Küsse aufs gesamte Gesicht und ich bin gerührt. Kurz vor dem Heulen. Warum kann ausgerechnet ich nicht einfach zufrieden sein? Hatten es die Frauen früher leichter, obwohl sie es eigentlich schwerer hatten? Macht es das Ganze einfacher, leichter verdaulich, wenn man erst gar keine Wahl hat, die Rollen klar vorgegeben sind? Muss ich Alice Schwarzer anrufen und mich mal richtig ausheulen? Ich glaube, mein momentaner fataler Hang zum Trübsinn hat viele Gründe. Ich bin, obwohl umgeben von Menschen, der eigenen Familie, den Nachbarn und Co., dennoch ein wenig einsam. Irgendwann in den letzten Jahren ist mir ein Teil meines Egos abhanden gekommen. Ich habe mir immer ein aufregendes, spannendes, ereignisreiches Leben gewünscht. Nur, wo soll die Spannung herkommen? Letztlich weiß ich, dass ich selbst dafür verantwortlich bin. Auch für meine unterschwellige Langeweile. Man kann sich langweilen, obwohl man enorm viel zu tun hat. Eine Erkenntnis, die einen nicht unbedingt aufbaut. Ich beschließe, Spannung in
mein Leben zu bringen. Ab morgen. Alles wird sich ändern. Das wollen wir doch mal sehen. Da geht doch was. Ich, Andrea Schnidt, werde mich nicht total und vollständig in den Reihenhaussumpf ziehen lassen. Ich nehme den Kampf auf.
Ich fühle mich sofort besser. Und beschließe, eine Liste zu machen. So wie es immer in diesen Lebenshilfebüchern steht. Schreiben Sie auf, was Sie ändern wollen. Das ist der erste Schritt. Klarheit im Kopf. Eindeutige Zielvorstellungen. Na dann los!
Meine Liste:
Ich will:
mehr Spannung
mehr Sex
mehr Anerkennung
schlankere Schenkel.
Und alles bitte schnell. Ganz schnell.
So, das wäre mal das Wichtigste. An die Details gehe ich morgen. Oder heute Abend. Ich deponiere die Liste feierlich in meiner Küchenschublade, einer der sichersten Plätze im Haus. Da geht weiß Gott keiner freiwillig dran.
Beim Kinderturnen wieder das Übliche. Wir Mütter singen was von einer Weltraummaus, laufen auf Strümpfen im Kreis, bauen Matten und Kästen auf, halten Händchen und sind stolz wie Bolle, wenn klein Irgendwie mutig eine Rolle probiert. Währenddessen der kleine gewöhnliche Schnelltratsch.
Ich bin gut gelaunt. Schließlich weiß ich, dass ab morgen ein aufregendes Leben auf mich wartet. Eine schöne Aussicht.
Mark zieht Lara an den Haaren. Das ist nicht die Form von Aufregung, die ich mir ersehne. Ausgerechnet Lara. Die hat eh so dünnes Haar – sogar dünner als meins und das will was heißen –, da kommt es auf jedes einzelne an. Ich schimpfe. Laras Mutter guckt, als hätte mein Sohn ihre Tochter unsittlich berührt, ihr die Ehe versprochen und sie dann sitzen gelassen. Ich entschuldige mich wortreich. So als wäre ich es gewesen, die Lara an den Haaren gezogen hat. Lara genießt ihren Auftritt. Schluchzt und weint auf Mamas Arm. Danke sehr, Mark. Fein gemacht. Super Auftritt. Mark ist bockig. Will sich nicht entschuldigen. »Lara auch böse«, ist alles, was ich aus ihm rausbringe. Demonstrativ greift er sich andauernd an seine Hoden. War da etwa klein Lara dran? Er will sich nicht äußern und verweigert nähere Angaben zum Tathergang. Ich frage die potenzielle Täterin: »Hast du den Mark da unten reingezwickt?« Lara schüttelt vehement den Kopf. Ich finde, ein bisschen zu vehement. Laras Mutter ist ob meiner subtilen Verdächtigungen empört. »Das würde meine Lara nie machen«, faucht sie mich an. Dabei hätten wir damit eine herrlich entspannende Pattsituation gehabt. Hoden gegen Haare. Ich wage einen Scherz, »Bis er oder auch sie die Dinger braucht, wird schon wieder alles okay sein.« Sie lacht nicht mal. Humorlose Zicke. Ich glaube, sie heißt Gabriele. Gabriele ist eine der Vorzeigevorstadtfrauen. Immer akkurat gekleidet, wahrscheinlich schon in Barbour-Jacke, V-Pulli und Tods-Schuhen auf die Welt gekommen. Modell ›Sportive Naturschönheit‹.
Was waren das noch herrliche
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