Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen
knallhart durch. Ich zog den schönen neuen Anzug an, am ersten Schultag musste man sich schließlich richtig schick machen. Aber mein Gesicht war sieben Tage Regen.
Am Frühstückstisch brachte ich keinen Bissen runter. Ich hasste meine Familie. Mein Vater und meine Mutter unterhielten sich angeregt, und auch meine Großeltern, die auch da waren, nahmen an meinen Ängsten und Sorgen kaum Anteil. Ich versuchte das Unbegreifliche zu begreifen. Ich würde keine Schultüte bekommen. Warum, war mir völlig schleierhaft. Ich war ein lieber, netter Junge. Ich konnte mich nicht erinnern, irgendetwas Schlimmes angestellt zu haben. Oder hatte meine Mutter herausgefunden, dass ich heimlich mit meinem Federhalter gespielt hatte, und war das jetzt die Strafe? Mir war zum Heulen zu Mute, doch ich riss mich zusammen.
Dann ging es los. Wir zogen uns alle an, und ich schaute meine Mutter fragend an. Ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie nun doch endlich meine Zuckertüte hervorzaubern und mir in die Hand drücken würden. Aber nichts dergleichen geschah. Langsam wurde ich bockig. „Ich geh nicht in die Schule, ohne meine Zuckertüte!“. Meine Mutter ermahnte mich. Natürlich folgte ich ihr. Mein Opa blieb zu Hause, er fühlte sich nicht so gut. Und so gingen meine Eltern, meine Oma und ich los. Ich zog ein Gesicht wie ein Grinch und stampfte wütend über die Straße. An mir zogen die anderen Kinder vorbei, und sie alle trugen stolz ihre Zuckertüten im Arm. Wie ich meine Eltern hasste. Sie hatten mir meinen großen Tag mal so was von versaut. Nicht nur, dass ich einen bekloppten Leder-Ranzen trug, für den mich alle auslachen würden, nein, ich hatte auch nicht mal eine Schultüte. Wie oft hatte ich mir diesen Tag in meiner Fantasie ausgemalt, wie ich mit der Schultüte im Arm zur Schule stolzieren würde. Und nun war ich das Gespött der Leute. Oller Ranzen, und nicht mal eine Schultüte. Haben die Leute kein Geld, würden sich die anderen fragen. Ich war unfassbar schlecht gelaunt. Als wir an der Schule ankamen, stellte ich mich zu den Kindern aus meiner neuen Klasse und wartete. Meine Eltern gingen schon mal in den Festsaal hinein. Ich wartete, war unsicher und unglücklich. So hatte ich mir meinen ersten Schultag nicht vorgestellt. Alles neu, neue Kinder, neue Umgebung, und keine Schultüte. Es war zum Heulen.
Plötzlich sah ich meinen Opa die Treppe hochlaufen und ich traute meinen Augen kaum. Nicht nur, dass mein Opa ja eigentlich krank war und gar nicht mitkommen wollte. Aber mein Opa trug eine wunderschöne, riesige Schultüte im Arm und grinste mir verschmitzt zu. Dann ging er auch in den Festsaal, mit meiner Schultüte. Mir klappte die Kinnlade runter. Und augenblicklich fühlte ich mich, als würde durch all das Grau in mir ein Regenbogen strömen. Ich war erleichtert und glücklich. Ich würde eine Schultüte bekommen! Vergessen war all der Ärger, mir fiel einfach nur ein riesiger Stein vom Herzen.
Als die Begrüßungszeremonie vorbei war, die viel zu lange dauerte, und die ich nur unter größtem Gehibbel durchstand, stürmte ich auf meine Familie zu und riss meinem Opa die Schultüte aus der Hand. „Die ist doch viel zu schwer, soll ich die nicht tragen?“ fragte er. Ich guckte ihn nur vorwurfsvoll an und antwortete mit einem bösen „NEIN!“. Die Schultüte war wirklich schwer, aber mir war das egal, ich gab sie nicht mehr her. Meine Eltern und meine Großeltern amüsierten sich indes prächtig über ihren gelungenen Coup. Sie kicherten und lachten und freuten sich diebisch darüber, dass sie ihren sechsjährigen Sohn so herrlich reingelegt hatten. Mir war das in dem Moment egal, ich war nur im Zuckertütenflow, und mit roten Bäckchen stolzierte ich nach Hause, so, wie ich es mir schon all die Jahre zuvor immer wieder ausgemalt hatte. Ehrfurchtsvoll packte ich zu Hause die spitze Überraschungstüte aus, und es warteten dort drin allerhand tolle Geschenke. Süßigkeiten, Stifte, Spielzeug – ich konnte mich wirklich nicht beschweren und war selig. Am Nachmittag kamen noch Freunde und Verwandte zu Besuch und sie alle brachten mir kleine Zuckertüten mit. Am Ende des Tages hatte ich zehn Zuckertüten geschenkt bekommen, die größte von meinen Eltern, mehrere mittelgroße und mehrere ganz kleine von meinen Gästen. Ich war überglücklich, stolz und zufrieden.
Vergessen konnte ich allerdings nie so wirklich die Verarschungs-Nummer. Es gibt ja immer so Familien, deren größter Spaß es
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