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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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sprachen von einem Blitz aus heiterem Himmel.
    Zuunterst im Ordner lag ein zerknitterter hellblauer Zettel mit Monogramm. Sofort saugten sich Fandorins Augen an den unregelmäßigen (augenscheinlich in großer Erregung niedergeschriebenen) Zeilen fest.
     
    An die Nachwelt!
     
    Wenn Ihr diesen Brief lest, heißt das, ich habe Euch schon verlassen und das Geheimnis des Todes erfahren, welches mit sieben Siegeln vor Euch verschlossen ist. Ich bin frei, während Ihr weiterleben und Euch mit Ängsten plagen müßt. Doch wette ich, daß dort, wo ich nun bin und von wo, wie sich ein dänischer Prinz auszudrücken beliebte, kein Wanderer wiederkehrt, in Wirklichkeit gar nichts ist. Wer anderer Meinung ist, der möge es prüfen und mir nachfolgen. Im übrigen habe ich mit
Euch allen nicht das geringste am Hut und schreibe diesen Brief nur, damit Ihr nicht etwa auf den Gedanken verfallt, ich könnte irgendeiner rührseligen Lappalie wegen Hand an mich gelegt haben. Eure Welt kotzt mich an, das ist fürwahr Grund genug. Und daß ich keiner von den miesen Schurken bin, darüber legt eine lederne Mappe Zeugnis ab.
    Pjotr Kokorin
     
    Klingt nicht nach großer Erregung!, war Fandorins erster Gedanke.
    »Wie meint er das mit der ledernen Mappe?« fragte er.
    Iwan Prokofjewitsch zuckte die Schultern.
    »Da war keine. Bedenken Sie, der Mann war völlig außer sich. Vielleicht hat er irgendwas vorgehabt und sich später anders überlegt oder einfach vergessen. Sieht so aus, als wär der junge Herr nicht bei Trost gewesen. Bestimmt haben Sie gelesen, daß er noch die Trommel hat rotieren lassen? Es steckte, nebenbei gesagt, nur eine Patrone darin, eine von sechs möglichen. Wenn Sie mich fragen, wollte er sich überhaupt nicht erschießen, sondern nur ein bißchen Nervenkitzel – den Herzschlag des Lebens fühlen, wie man so sagt. Damit das Essen hinterher besser schmeckt und der Wein süßer.«
    »Tatsächlich, nur eine Patrone? Da hat der Arme ja wirklich Pech gehabt!« sagte Fandorin voller Mitgefühl mit dem Toten, wobei ihm die Ledermappe keine Ruhe ließ.
    »Wo wohnt er denn? Ich meine, wo hat er …«
    »Achtzimmerwohnung in einem neuen Haus an der Ostoshenka, hochvornehm.« Bereitwillig gab Iwan Prokofjewitsch seine Eindrücke preis. »Der Vater hat ihm ein Haus im noblen Samoskworetschje-Viertel hinterlassen, ein vollständiges Anwesen samt Gesinde, aber dort, unter Kaufleuten, hat er nicht wohnen wollen.«
    »Und in der Wohnung hat sich keine Ledermappe angefunden?«
    Der Gehilfe tat erstaunt. »Hätten wir Ihrer Meinung nach eine Haussuchung veranstalten sollen? Ich sage Ihnen, das ist eine Wohnung, wo man die Polizeidiener nicht gern herumspazieren läßt, sie könnten leicht schwach werden. Und wozu soll’s gut sein? Jegor Nikiforitsch, der Kriminalkommissar aus der Bezirksprokuratur, hat dem Kammerdiener von dem Toten eine Viertelstunde gegeben, seine Siebensachen zusammenzupacken, und zwar unter Aufsicht des Wachtmeisters, damit er nichts einsteckt, was seinem Herrn gehört hat – danach mußte ich die Tür versiegeln. Bis die Erben verkündet sind.«
    »Und wer sind die?« interessierte sich Fandorin.
    »Das ist der Haken. Der Kammerdiener meint, Kokorin habe keine Geschwister. Nur irgendwelche Großcousins, die er nie über die Schwelle gelassen hat … Fragt sich also, wem solch hübsche Sümmchen zufallen sollen.« Iwan Prokofjewitsch seufzte neidvoll. »Das wagt man sich kaum vorzustellen … Na, soll nicht unsere Sorge sein. Der Advokat oder die Testamentsvollstrecker werden es demnächst verkünden. Der Mann ist ja noch keine vierundzwanzig Stunden tot, und die Leiche liegt bei uns auf Eis. Vielleicht, daß Jegor Nikiforitsch den Fall morgen abschließt, vorher kommt die Sache nicht in Gang.«
    »Trotzdem komisch«, bemerkte der junge Schriftführer mit gerunzelter Stirn. »Wenn einer in der Stunde seines Todes ausdrücklich eine bestimmte Mappe erwähnt, dann muß das seinen Sinn haben. Und das mit den ›miesen Schurken‹ ist auch nicht zu begreifen. Wenn in der Mappe nun etwas Wichtiges drinsteckt? Tun Sie, was Ihnen beliebt, doch ich an Ihrer Stelle würde in der Wohnung unbedingt noch malnachschauen. Mir scheint, der Brief ist nur um der Erwähnung dieser Mappe willen geschrieben worden. Da steckt ein Geheimnis dahinter, das könnte ich schwören.«
    Fandorin errötete – ob »Geheimnis« womöglich nach Dummejungenphantasie klang? –, doch Iwan Prokofjewitsch schien nichts Komisches daran zu

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