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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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– zumal ihm in den erstaunlichen und erschröcklichen Ereignissen, die nicht lange auf sich warten lassen werden, eine maßgebliche Rolle zu spielen beschieden ist. Es handelte sich um einen liebreizenden jungen Mann mit schwarzem Haar (auf das er insgeheim stolz war) und blauen Augen (ach, wären sie doch auch schwarz gewesen!), recht hochgewachsen, mit blassem Teint und einer ebenso ungeliebten wie leider unausrottbaren Neigung zur Rotbäckigkeit. Der Grund aber, weshalb der Kollegienregistrator sich so höchlich verlegen zeigte, sei hier gleich mit verraten: Erst vorgestern hatte er ein Drittel seines ersten Monatssalärs für das besagte, in den höchsten Tönen gepriesene orthopädische Hilfsmittel verausgabt; den zweiten Tag lief er im Lord-Byron-Korsett umher, litt der Schönheit zuliebe ordentliche Qualen und verdächtigte nun seinen Vorgesetzten Xaveri Gruschin (allerdings vollkommen zu Unrecht), er könnte, scharfsinnig, wie er war, bereits erkannt haben, woher Fandorins reckenhafte Haltung kam, und beliebte sich darüber lustig zu machen.
    Derweil hatte der Kriminalbeamte weiter vorgelesen:
     
    »Grausamkeiten türkischer Baschi-Bosuks in Bulgarien
     
    Na, das ist nun nichts vor dem Mittagessen …
     
    Explosion auf der Ligowka
     
    Wie unser Petersburger Korrespondent berichtet, ereignete sich gestern morgen um 6.30 Uhr auf der Snamenskaja im Mietshaus des Herrn Kommerzienrat Wartanow eine Explosion, infolge derer eine Wohnung im 4. Stock zur Gänze demoliert wurde. Die am Ort eintreffende Polizei fand den bis zur Unkenntlichkeit entstellten Leichnam eines jungen Mannes vor, bei dem es sich mutmaßlich um den Wohnungsmieter,
Privatdozent P., handelt. Den ersten Anzeichen nach unterhielt P. in der Wohnung eine Art chemisches Geheimlaboratorium. Der mit der Leitung der Ermittlungen beauftragte Staatsrat Brilling äußerte bereits die Vermutung, daß hier im Auftrag einer terroristisch-nihilistischen Organisation Zeitbomben (sog. Höllenmaschinen) fabriziert wurden. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.
    So, so. Dank dem Allmächtigen, daß wir hier nicht in Petersburg sind.«
    In diesem Punkt schien der junge Fandorin, dem plötzlichen Glanz in seinen Augen nach zu urteilen, durchaus anderer Meinung zu sein. Sein ganzer Gesichtsausdruck sprach Bände: In der Hauptstadt hatten sie wenigstens ordentlich zu tun – Bombenlegern auf die Spur zu kommen war doch etwas anderes als zehnmal dieselben Dokumente abzuschreiben, in denen noch dazu nichts Wesentliches stand.
    »Nun ja«, sagte Xaveri Gruschin und raschelte mit den Zeitungsseiten, »mal sehen, was wir auf der Regionalseite haben!«
     
    Erstes Moskauer Asternat
     
    Die prominente englische Baronin Aster, dank deren Wohltätigkeit bereits in verschiedenen Ländern mustergültige Heime für Waisenjungen, so genannte Asternate, entstanden, erklärte auf Anfrage unseres Korrespondenten, daß nun auch in der Stadt mit den goldenen Kuppeln eine erste derartige Einrichtung im Aufbau begriffen sei. Lady Aster, die seit vorigem Jahr in Rußland initiativ ist und zunächst ein Asternat in Petersburg gründete, wird somit auch die Moskauer Waisen beglücken …
    Hm, hm …
     
    … erweisen die Moskauer ihre große Dankbarkeit … wagen wir zu fragen: Wo sind Sie, unsere Owens und Asters? …
Na gut, Gott hab’ die Waisenkinder selig. Und was gibt es hier?
     
    Zynische Eskapade
     
    Aha. Interessant.
     
    Gestern ereignete sich im Alexandergarten ein bedauerlicher Vorfall, der vom herrschenden Zynismus unter der heutigen Jugend Zeugnis ablegt. Vor den Augen der Spaziergänger erschoß sich der Student der Moskauer Universität N., properer Alleinerbe eines Millionenvermögens, im blühenden Alter von 23 Jahren.
     
    Oho!
     
    Vor Ausführung der sinnlosen Tat soll N., wie Augenzeugen berichten, seinem Hochmut öffentlich freien Lauf gelassen und mit dem Revolver herumgefuchtelt haben. Anfänglich hielt man sein Benehmen für den Unernst eines Betrunkenen, doch N. scherzte nicht, schoß sich in den Kopf und war auf der Stelle tot. In der Tasche des Selbstmörders fand sich eine empörend gotteslästerliche Notiz, aus welcher hervorgeht, daß N.s Tat weder in plötzlicher Aufwallung noch infolge eines Deliriums tremens geschah. So ist man nun also vor der neumodischen Epidemie sinnloser Selbstmorde, wie sie bislang vor allem Petersburg geißelte, auch in den Mauern Moskaus nicht mehr sicher. Was für Zeiten, was für Sitten! möchte man ausrufen.

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