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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Erast Petrowitsch?« fragte der Offizier mit schneidig heller Gardistenstimme nach.
    »Der bin ich.«
    »Eilige Geheimsendung aus der Dritten Abteilung, zu eigenen Händen. Wo belieben Sie die Entgegennahme …«
    »Kommen Sie hier herein!« sagte Erast Fandorin und trat beiseite. »Sie entschuldigen mich, Alexander Apollodorowitsch.« (Den Schwiegervater zu duzen hatte er sich noch nicht angewöhnt.)
    »Verstehe. Dienst ist Dienst.« Der Schwiegervater nickte,schloß hinter dem Feldjäger die Tür und blieb davor stehen, damit kein Unbefugter eintrat.
    Der Oberleutnant legte das Päckchen auf einem Stuhl ab und zog ein Papier aus dem Rockaufschlag.
    »Wenn Sie so freundlich wären, mir den Erhalt zu quittieren?«
    »Was ist denn drin?« fragte Fandorin, während er unterschrieb.
    Auch Lisanka, die nicht die geringste Lust zeigte, ihren Mann mit dem Kurier allein zu lassen, schaute neugierig auf das Päckchen.
    »Entzieht sich meiner Kenntnis«, sagte der Offizier achselzuckend. »Circa vier Pfund schwer. Besteht nicht ein freudiger Anlaß? Vielleicht in dem Zusammenhang? Jedenfalls meine ganz persönlichen Glückwünsche. Hier ist noch ein Brief, der wohl alles erklärt.«
    Er zog ein kleines Kuvert aus der Manschette, das keinerlei Aufschrift trug.
    »Gestatten Sie wegzutreten?«
    Fandorin nickte, während er das Siegel auf dem Kuvert in Augenschein nahm.
    Der Feldjäger grüßte, machte schneidig kehrt und verließ den Raum.
    Der Vorhänge wegen war es in der Kammer duster; Fandorin erbrach das Kuvert und trat dabei vor das offene Fenster, das auf die Malaja Nikitskaja hinausging.
    Lisanka umfaßte seine Schultern von hinten, hauchte ihm sanft ins Ohr.
    »Na, was ist es? Ein Glückwunsch?« fragte sie ungeduldig. Als sie die glänzende Karte mit den zwei goldenen Ringlein erblickte, jubelte sie auf: »Tatsächlich! Ach, ist das hübsch!«
    Im selben Moment hob Fandorin, dem irgendeine schnelle Bewegung draußen vor dem Fenster aufgefallen war, den Blick und sah den Feldjäger aus dem Haus kommen, der sich jedoch sonderbar verhielt. Er raste die Stufen herunter, sprang in vollem Lauf auf eine am Bordstein wartende Droschke und brüllte dem Kutscher zu: »Los! Neun! Acht! Sieben!«
    Der Kutscher schwang die Peitsche, sah sich kurz um. Ein Kutschergesicht – hoher Hut, eisgrauer Bart. Nur die Augen waren seltsam: sehr hell, beinahe weiß.
    »Halt!« brüllte Erast Fandorin wie von Sinnen und sprang, ohne zu überlegen, aus dem Fenster ins Freie.
    Der Kutscher ließ die Peitsche knallen, die zwei Rappen setzten sich in Trab.
    »Halt! Ich schieße!« brüllte Fandorin, der gar keine Waffe bei sich trug – zur Feier des Tages hatte er seine treue Herstal im Hotel gelassen.
    »Erast? Wo willst du hin?«
    Im Laufen sah Fandorin zurück. Lisanka beugte sich hinter ihm aus dem Fenster, ihr liebes Gesicht schien vollkommen verdattert. Im nächsten Moment spuckte das Fenster Feuer und Qualm, die Scheiben barsten, und Fandorin wurde zu Boden geworfen.
    Eine Zeitlang war es still um ihn her, dunkel und totenstill, doch dann drang grelles Tageslicht in seine Augen, die Ohren fingen an zu dröhnen, und Fandorin begriff, daß er am Leben war. Er sah vor sich die Pflastersteine, ohne erst einmal zu begreifen, warum sie so nahe waren. Es war widerwärtig, auf diese grauen Steine zu starren, er wandte den Blick zur Seite. Was um nichts besser war, im Gegenteil: Er blickte auf einen Haufen Pferdeäpfel. Daneben lag etwas unangenehm Weißglänzendes, mit zwei blitzenden goldenenKreisen. Fandorin fuhr in die Höhe und las die Zeile, die da in großer, altmodischer Schreibschrift mit viel Kringeln und Schnörkeln geschrieben stand:
     
    My Sweet Boy, This is a Truly Glorious Day!
     
    Der Sinn dieser Worte erreichte den getrübten Verstand des zu Boden geworfenen Mannes nicht sogleich, zumal seine Aufmerksamkeit durch einen anderen Gegenstand abgelenkt wurde, der lustig funkelnd mitten auf dem Pflaster lag.
    Im ersten Moment begriff Fandorin nicht, worum es sich handelte. Er spürte nur, daß es etwas war, das auf Erden nicht sein konnte. Dann erkannte er ihn: den schmalen, im Ellbogen abgerissenen Mädchenarm mit dem goldenen Ringlein am vorletzten Finger der rechten Hand.
     
    Da lief ein junger Mann mit schnellen, unsicheren Schritten den Twerskoi entlang. Vornehm gekleidet, jedoch in auffälliger Unordnung: der teure Frack zerknittert, die weiße Halsbinde schmutzig, eine staubige weiße Nelke im Knopfloch. Die flanierenden

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