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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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schnellem Reichtum gekommen, im Bankenfieber wurde er ihn wieder los. Nicht wenige ehrbare Leute waren vor Jahresfrist, als eine kommerzielle Bank nach der anderen pleite ging und die sichersten Anlagen über Nacht Makulatur wurden, an den Bettelstab geraten. So hatte auch Oberleutnant a. D. Fandorin, als ihn ein Herzschlag dahinraffte, seinem Sohn nichts außer ungedeckten Wechseln hinterlassen. Der Junge hätte das Gymnasium beenden und an die Universität gehen sollen, statt dessen war er nun aus der Obhut des Vaterhauses auf die Straße geschleudert worden, wo er sich sein kärgliches Brot selbst verdienen mußte. Xaveri Gruschin grunzte mitfühlend. Die Prüfung zum Kollegienregistrator hatte der wohlerzogene Junge aus gutem Hause mit Bravour abgelegt – aber warum zum Teufel war er nicht wenigstens beim Statistischen Amt untergekrochen oder beim Gericht? Was hatte er bei der Polizei zu suchen? Romantische Hirngespinste spukten ihm im Kopf herum: Er hoffte hier wohl irgendwelche mysteriösen Ca… Cadoudals zu jagen. Nein, mein Lieber (Gruschin schüttelte mißbilligend den Kopf), Cadoudals pflegen bei uns nicht vorzukommen, hier wetztman sich den Hosenboden ab und nimmt zu Protokoll, wie Bürger Schmerbauch im Suff mit der Axt auf seine Angetraute und die drei kleinen Kinder losgegangen ist.
    Die dritte Woche erst tat der junge Herr Fandorin bei der Kriminalpolizei Dienst, doch Xaveri Gruschin, selbst langjähriger Ermittler und mit allen Wassern gewaschen, war sich bereits sicher, daß der Junge zu nicht viel nütze sein würde. Allzu dünnhäutig, allzu gute Kinderstube. Einmal, gleich in der ersten Woche, hatte Gruschin ihn zum Tatort mitgenommen (der Frau des Kaufmanns Krupnow war die Kehle durchgeschnitten worden); kaum war Fandorin der Leiche ansichtig geworden, als er, grün im Gesicht, immer schön an der Wand entlang ins Freie flüchtete. Es war zugegebenermaßen kein appetitlicher Anblick gewesen: der Hals aufgeschlitzt von Ohr zu Ohr, die Zunge heraushängend, die Augen aus den Höhlen gequollen, und natürlich Blut, ein Meer von Blut. Jedenfalls hatte Gruschin das Verhör vornehmen und auch noch das Protokoll aufsetzen müssen. Der Fall war im übrigen nicht kompliziert gewesen. Der Hausmeister Kusykin hatte einen so fahrigen Blick gehabt, daß Gruschin ihn gleich beim Schlafittchen packen und in Arrest nehmen ließ. Da saß dieser Kusykin nun schon zwei Wochen, bestritt alles, aber das half ihm nichts, er würde schon noch gestehen, ein anderer kam nicht in Frage, dafür hatte der Ermittlungsbeamte Gruschin in dreißig Jahren Dienst einen sicheren Riecher entwickelt. Und was Fandorin anging, so zeigte der sich immerhin für den Bürodienst tauglich: Er war anstellig und gescheit, schrieb fehlerlos, konnte fremde Sprachen und verfügte nicht zuletzt über gute Umgangsformen – anders als Trofimow, diese Schnapsnase, der vergangenen Monat als Sekretär entlassen und für niedere Hilfsdienste an das Revier im Stadtteil Chitrowka versetztworden war. Sollte er sich dort weiter um den Verstand saufen und seinen Vorgesetzten frech kommen.
    Ungehalten trommelte Gruschin auf den mit langweiligem fiskalischem Leintuch bezogenen Tisch, holte die Taschenuhr aus der Westentasche (oh, noch so lange bis zur Mittagspause!) und nahm sich entschlossen die jüngste Ausgabe der »Moskauer Neuesten Nachrichten« vor.
    »Mal sehen, womit sie uns heute wieder verblüffen«, murmelte er – und der junge Schriftführer legte bereitwillig die verhaßte Gänsefeder beiseite, da er wußte, daß sein Chef ihm nun gleich die Überschriften der Artikel und noch so dies und jenes vortragen würde, mit Kommentaren versehen, wie es seine Gewohnheit war.
    »Nun schauen Sie sich das an, Erast, auf der ersten Seite, an prominentester Stelle!
     
    Neues aus Amerika: Das Korsett
    LORD BYRON
    aus festem Fischbein –
    für Männer, die schlank sein wollen.
    Schmale Taille, breite Schultern!
     
    … und Hauptsache, große Buchstaben. Dagegen hier unten, ganz klein gedruckt:
     
    Der Zar reist nach Bad Ems
     
    Natürlich – wen geht dieser Zar was an, im Unterschied zum Lord-Byron-Korsett!«
    Das Brummeln des guten Xaveri Gruschin rief beim Schriftführer eine verblüffende Reaktion hervor. Er schien bestürzt, eine flammende Röte stieg ihm in die Wangen, die langen Mädchenwimpern zuckten schuldbewußt. Da von den Wimpern einmal die Rede ist, wäre dies der geeignete Moment,Erast Fandorins Äußeres etwas eingehender zu beschreiben

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