Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
Asch.
Oschō, das Haupt des Ordens der Rōschun, saß still vor der gegenüberliegenden schrägen Zeltwand. Er blinzelte, sagte aber nichts.
Asch senkte den Kopf, atmete tief durch und fasste sich.
Leise drangen die Worte aus seinem Mund, dargeboten
wie die Opfergabe auf einem Altar: »Oschō, wir kennen einander länger als eine halbe Lebensspanne. Wir beide sind mehr als nur Freunde. Wir stehen uns sogar näher als Vater und Sohn oder als Brüder. Bitte höre mich an. Ich brauche das.«
Ihre Blicke trafen sich: er und Oschō, umgeben von Leinwand und Wind und tausend Laq schierer Eiswüste; hier in dieser imaginären Zelle aus Wärme, die so klein war, dass sie den Atem miteinander teilten.
»Also gut«, murmelte Oschō̄ schließlich. Asch ruckte vor Überraschung nach hinten.
Er öffnete den Mund und wollte ihm danken, aber Oschō hob die Hand.
»Nur unter einer Bedingung, und über die lasse ich nicht mit mir reden.«
»Sprich weiter.«
»Du wirst endlich einen Lehrling annehmen.«
Ein Windstoß drückte ihm die Leinwand des Zeltes gegen den Rücken. Asch versteifte sich. »Das erbittest du von mir?«
»Ja«, fuhr Oschō̄ ihn an. »Das erbitte ich von dir – so wie du es einmal von mir erbeten hast. Asch, du bist der Beste, den wir haben – besser sogar, als ich selbst je war. Aber in all den Jahren hast du dich stets geweigert, einen Lehrjungen auszubilden und deine Fähigkeiten sowie deine Einsichten weiterzugeben.«
»Du weißt, dass ich dafür meine besonderen Gründe habe.«
»Natürlich weiß ich das! Ich kenne dich besser als jede andere lebende Seele. Hast du etwa vergessen, dass
ich dabei war? Aber du warst damals nicht der Einzige, der einen Sohn in der Schlacht verloren hat – oder einen Bruder oder einen Vater.«
Abermals senkte Asch den Kopf. »Nein«, gab er zu.
»Dann wirst du es tun, wenn du diese Sache hier überlebst?«
Noch immer konnte er Oschō̄ nicht in die Augen sehen. Stattdessen war sein Blick erfüllt von der strahlenden Helligkeit, die das Feuer des Ölofens aussandte. Der alte Mann kannte ihn so gut. Für Asch war er wie ein Spiegel – eine lebendige, atmende Oberfläche, die all das zurückwarf, was Asch vor sich selbst zu verbergen versuchte.
»Willst du allein in dieser verlassenen Wildnis sterben? «
Aschs Schweigen war Antwort genug.
»Dann sei mit meinem Angebot einverstanden. Wenn du es bist, verspreche ich dir, dass ich dir hier heraushelfe und du deine Heimat wiedersehen wirst – und dort werde ich dir erlauben, deine Arbeit fortzusetzen, zumindest solange du jemand anderen unterrichtest.«
»Ist das ein bindendes Abkommen?«
»Ja«, sagte Oschō mit Nachdruck zu ihm.
»Aber du bist nicht wirklich . Ich habe das Zelt, in dem wir sitzen, vor zwei Tagen verloren … und du hast mich nicht auf dieser Reise begleitet. Du bist ein Traum. Ein Widerhall. Dein Abkommen ist für mich nicht von Bedeutung. «
»Dennoch sage ich die Wahrheit. Bezweifelst du das etwa?«
Asch starrte in seinen leeren Becher. Die Hitze war aus den metallenen Rundungen gewichen und saugte nun die Wärme aus seinen Händen.
Vor langer Zeit hatte Asch seine Krankheit und deren unausweichliche Auswirkungen akzeptiert. Er hatte sie genauso hingenommen wie die Tatsache, dass er für seine Arbeit hin und wieder Leben auslöschen musste – nämlich mit einer gewissen Schicksalsergebenheit. Vielleicht waren seine Anflüge von Melancholie ein Ausfluss dieser vorteilhaften Haltung. Das Innerste des Lebens war süß und bitter zugleich, ohne eine andere Bedeutung als die, welche man ihm zuschrieb: Gewalt oder Frieden, richtig oder falsch, jede Wahl, die man traf, aber nichts darüber hinaus – sicherlich besaß es keinerlei grundlegende Auswirkungen auf ein Universum, das selbst vollkommen neutral war und nur immer das Gleichgewicht der Kräfte suchte, während es sich auf ewig aus den zahllosen Möglichkeiten des Dao entwickelte. Er lag im Sterben, und mehr war dazu nicht zu sagen.
Aber er wollte nicht, dass sein Leben hier auf dieser kahlen Ebene endete. Er würde gern die Sonne wiedersehen und mit offenem Mund und weit geöffneten Augen ihre Wärme genießen. Er würde gern die durchdringenden Düfte des Lebens einatmen, die kühlen jungen Grashalme unter seinen Sohlen spüren, dem Gurgeln des Wassers über den Felsen lauschen. Und hier, in seinem Traumbild, war Oschō̄ eine Schöpfung dieses Verlangens. In jenem Augenblick wagte Asch nicht zu hoffen, dass er mehr sein
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