FEED - Viruszone
fragte ich und stellte die Bowle neben meinem Computerplatz ab.
»Ich schneide das Material von heute Abend zusammen und synchronisiere die Tonspur. Vielleicht mache ich einen Musikvideo-Remix, wenn ich fertig bin. Irgendwas Retromäßiges raussuchen, was voll abrockt. Außerdem chatte ich mit Chuck. Er lässt mich auf sein bisheriges Wahlkampfvideomaterial zugreifen. Daraus kann ich vielleicht eine Art Retrospektive zusammenbasteln.«
Ich hob eine Braue und nahm mir eine Cola aus dem Kühlschrank. »Etwa, weil du ohne seine Hilfe nicht an dieses Material rangekommen wärst?«
Buffys Wangen röteten sich. »Er will bloß helfen.«
»Buffy ist verknallt«, säuselte Shaun.
»Sei brav«, sagte ich, setzte mich und ließ die Finger knacken. »Ich muss in den Foren nachschauen, was die Leute sagen, und die Titelstory für morgen vorbereiten. Das wird eine lustige Nacht, und ich will nicht, dass ihr beiden anfangt, euch zu streiten und sie mir verderbt.«
Shaun verdrehte die Augen. »Klaaar. Mummelt euch hier ruhig ein und albert die ganze Nacht rum, Mädchen … «
»Das nennt man auch ›sich seinen Lebensunterhalt verdienen‹, Blödarsch.« Ich schaltete den Monitor an und gab ein Passwort ein.
»Wie gesagt, die ganze Nacht nur rumalbern. Ich gehe mit den Jungs raus. Wir schauen, wo was geht, und dann mache ich irgendwas alle, und morgen haben wir Quoten, wie ihr sie noch nie gesehen habt.« Shaun breitete die Hände aus, um das Ausmaß seines eingebildeten Triumphs anzuzeigen. »Ich sehe es vor mir: ›Draufgängerischer Irwin rettet Nachrichtenseite vor dem Niedergang‹.«
»Besorg dir ’ne Brille«, sagte Buffy.
Ich kicherte.
Shaun bedachte Buffy mit seinem schönsten verletzten Blick und setzte zu einer Antwort an.
Doch was immer er sagen wollte, es wurde von den Schüssen draußen übertönt.
Ihr möchtet über Heuchelei reden? Ich sag euch, was Heuchelei ist: Wenn man Kellis-Amberlee als Gottes Strafe dafür bezeichnet, dass wir Gott ins Handwerk pfuschen wollten. Vielleicht würde ich das glauben, wenn Zombies eine übernatürliche Fähigkeit zum Aufspüren von Wissenschaftlern hätten und sich nur Ketzer schnappen würden, aber wenn ich mir die Jahresstatistik der Todesfälle im Zusammenhang mit KA ansehe – man kann die Liste auf der Website der Seuchenschutzbehörde einsehen, und eine detailliertere, täglich aktualisierte Aufstellung wird seit dem Erwachen an der Mauer gepostet – , fallen mir darauf nicht besonders viele Wissenschaftler auf. Was sehe ich stattdessen?
Ich sehe Kinder. Ich sehe die siebenjährige Julie Wade aus Discovery Bay, Kalifornien; ich sehe den elfjährigen Leroy Russell aus Bar Harbor, Maine; ich sehe sehr viel mehr als nur diese beiden. Von den 2653 US-Toten des letzten Jahres, deren Ableben unmittelbar auf Kellis-Amberlee zurückgeführt werden kann, sind dreiundsechzig Prozent unter sechzehn gewesen. Das klingt für mich nicht gerade nach einem gnädigen Gott.
Ich sehe Alte. Ich sehe Nicholas und Tina Postoloff, die im Pleasant-Valley -Altenheim in Warsaw, Indiana, verstorben sind. Laut den Berichten hätte Nicholas überlebt, wenn er nicht umgekehrt wäre, um Tina zu retten, mit der er siebenundvierzig Jahre lang verheiratet gewesen war. Beide starben und wurden durch das Virus wieder zum Leben erweckt, bevor Hilfe eintraf. Man hat sie wie wilde Tiere auf offener Straße niedergeschossen. Klingt für mich nicht nach einem Gottesurteil. Klingt überhaupt kein bisschen göttlich .
Ich sehe Männer und Frauen wie dich und mich, Menschen, die sich bemühen, keine Fehler zu machen, die sie später einmal heimsuchen werden. Ich sehe keine Sünder, die die Seuche selbst auf sich herabbeschworen haben. Also hört schon auf. Hört auf damit, den Leuten mehr Angst einzujagen, als sie ohnehin schon haben, indem ihr ihnen weismacht, dass das hier nur ein Vorgeschmack auf die Qualen ist, die ihnen noch bevorstehen. Ich bin es leid, und wenn es einen Gott gibt, dann ist er es mit Sicherheit auch leid.
Aus Unschöne Bilder , dem Blog von Georgia Mason,
12. Januar 2040
8
Shaun zögerte nicht. Er stellte sein Bier auf die nächste Ablage, nahm eine Armbrust von der Wand und rannte zur Tür. Ich folgte ihm mit ein paar Schritten Abstand, meine Cola noch in der Hand. Im Gegensatz zu meinem bescheuerten Bruder habe ich nicht die Absicht, eine Fußnote an der Mauer zu werden, aber das heißt nicht, dass ich nicht aus sicherer Entfernung zuschauen kann.
»Georgia!« Buffys
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