Feenkind
erfüllen.
Kapitel 2
Irgendwann drosselte Dhalia ihr Tempo, um ihrem Pferd eine Verschnaufpause zu gönnen. Als sie Brunos heftig hebenden und senkenden Flanken sah, stieg sie aus dem Sattel, um neben ihm her zu gehen. Auf einmal überkam sie eine große Dankbarkeit zu diesem treuen Gefährten, dem einzigen Freund aus früheren Tagen, der ihr geblieben war. Sie schmiegte sich an den Hals des Hengstes. Es war schön, einfach nur ein anderes lebendiges Wesen neben sich zu spüren, eines, das keine Anforderungen und Erwartungen an sie stellte, denn sie hatte schon mit ihren eigenen genug zu tun.
Die Aufgabe, der sie sich verschrieben hatte, ragte wie ein gewaltiger Berg vor ihr auf und sie hatte keine Ahnung, wie sie mit dem Aufstieg beginnen sollte. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie sich nicht zuviel zugemutet hatte.
Schließlich beschloss sie, zunächst zur großen Bibliothek in Annubia zu gehen. Denn dort war die größte Ansammlung von Wissen, die Dhalia sich vorstellen konnte. Bestimmt würde sie dort etwas finden, das ihr weiter half. Doch wonach sollte sie suchen?
Die junge Frau blickte sich forschend um. Sie war auf dem richtigen Weg. Sie kannte diese Straße zur Genüge, da sie die Bibliothek im Rahmen ihrer Studien schon oft besucht hatte. Sie lächelte zuversichtlich. Sie hatte noch genug Zeit, einen Plan zu entwickeln, bis sie in Annubia ankam.
Allmählich tauchten auch andere Menschen auf der Landstraße auf, denn die Strecke nach Annubia war einer der wichtigsten Verbindungswege ihres Landes. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, stieg Dhalia wieder in den Sattel und ließ ihr Pferd im Schritt gehen.
Ein leichter Regen hatte eingesetzt und diente ihr als willkommener Anlass, ihre Kapuze tief über ihren Kopf zu ziehen und vorzugeben, die anderen Reisenden nicht zu sehen, an denen sie ab und an vorbeikam. Sie wollte nicht erkannt werden. Es war immerhin möglich, dass ihre Eltern nach ihr suchten.
Möglich, wenn auch unwahrscheinlich. Was sollten sie schon von ihr wollen, die ihnen wie ein Kuckucksei anstatt ihres eigenen Kindes ins Nest gelegt worden war?
Vielleicht würden sie ihr ja vergeben können, wenn sie ihnen ihre richtige Tochter zurückbrachte.
Damit war sie wieder am Anfang des Problems. Es war höchst unwahrscheinlich, dass sie in Annubia einen Eintrag unter "Dhalia: Königstochter als Kind von ... entführt" finden würde.
Dhalias Blick wanderte wieder zu der vor ihr liegenden Straße. In einiger Entfernung sah sie ein großes Schlammloch sich quer über die Straße ziehen.
Ich sollte Vater darauf hinweisen, dass die Straße repariert werden müsste, war ihr erster Gedanke. Traurig biss sie sich auf die Lippe. Das würde wohl jemand anders tun müssen.
Mit einem leichten Druck ihrer Beine ließ sie Bruno schneller laufen und mit einem eleganten Sprung über das Schlammloch herüber setzen. Dabei spürte sie unter ihrem Hemd etwas gegen ihre Brust prallen. Sie fühlte nach und zog das silberne Spiegelblatt hervor, das noch immer an einem Lederriemen um ihren Hals hing. Sie hatte es nicht abgenommen, teils aus Gewohnheit und teils, um es seiner wahren Besitzerin wiedergeben zu können, wenn sie sie endlich fand.
Doch jetzt kam ihr eine andere Idee. Ihr Vater hatte gemeint, sie sollte die Feen suchen, weil das Blatt und damit auch die Prophezeiung von ihnen stammten. Vielleicht sollte sie tatsächlich nach ihnen suchen. Vielleicht wussten sie etwas darüber, wo sie die Andere finden konnte.
Falls es die Feen überhaupt gab, falls sie sie finden konnte, falls sie ihr helfen wollten ...
So viele ‚falls'. Doch es hatte keinen Sinn, darüber zu grübeln. Die ersten Schritte ihres Weges lagen nun vor ihr. Dann würde sie weitersehen, beschloss Dhalia.
Als es dunkler wurde, lenkte sie Bruno weg von der Straße in den kleinen Wald, der sich an der Straße entlang erstreckte. Sie hatte nicht viel Geld bei sich und wusste nicht, wozu sie es noch brauchen würde, daher beschloss sie, nicht bis zum nächsten Dorf zu reiten und dort eine Unterkunft zu suchen. Außerdem war sie müde und hatte kein Bedürfnis nach der lärmenden Gesellschaft anderer Menschen. Sie kannte ein nettes Plätzchen im Wald, wo sie schon öfter Rast gemacht hatte - eine kleine Höhle unter den Wurzeln eines umgestürzten Baumes, die ihr Schutz vor Wind und Wetter bot.
Sie band ihr Pferd an einem Baum wenige Meter von ihrem Unterschlupf entfernt an und machte sich daran, ein Feuer zu entfachen. Von einem kleinen Bach,
Weitere Kostenlose Bücher