Feenkind
sehen."
Oben in ihrem Zimmer fiel Dhalia bäuchlings auf ihr Bett. Sie fühlte sich hundeelend. Sie wollte nicht mehr nachdenken. Am liebsten hätte sie alles vergessen, es irgendwie hinter sich gelassen. Sie verspürte den Wunsch, sich einfach unter ihrer Bettdecke zu verkriechen und niemals wieder herauszukommen. Doch sie wusste, dass ihre Schwierigkeiten dadurch nicht verschwinden würden. Ebenso wenig wie die Unruhe und Angst, die ihr im Augenblick die Seele zerfraßen. Diese Zeit war für sie leider endgültig vorbei.
Der Gedanke, sie könnte einfach weggehen, dem ganzen Theater den Rücken kehren, ihr Leben selbst bestimmen, kam ihr flüchtig in den Kopf. Sollten doch die höheren oder niederen Mächte, oder wer auch immer ihr diese blödsinnige Prophezeiung geschickt hatte, zusehen, wie sie ohne sie klarkamen. Doch es war nur ein flüchtiger Gedanke. Sie war nicht dazu erzogen worden, vor Schwierigkeiten wegzulaufen. Sie stellte sich ihnen und versuchte zumindest, sie zu bewältigen. Falls sie mal scheitern sollte, wäre es schlimm genug, aber es nicht einmal zu versuchen - das entsprach nicht ihrem Naturell. Und doch, es hätte wahrscheinlich viele Dinge einfacher für sie gemacht.
Sie vergrub das Gesicht in ihrem Kopfkissen. Sie fühlte sich ausgelaugt und war fest entschlossen, nicht länger über ihr mögliches Schicksal zu grübeln.
Obwohl es noch früh am Abend war, wurde sie irgendwann vom Schlaf übermannt. Doch er brachte nicht das gnädige Vergessen mit sich, auf das Dhalia so gehofft hatte. Wirre und sehr beunruhigende Träume ließen sie auch in dieser Nacht nicht los. Träume, die ihr eine fremdartige Welt zeigten, die ihr doch so eigenartig vertraut vorkam. Sie fürchtete sich vor den Dingen, die sich darin verbergen mochten, und doch empfand sie ein unerklärliches Gefühl des Verlustes darüber, kein Teil dieser Welt zu sein.
Sie träumte, sie würde fliegen, auf Wolken sanft über der Erde getragen werden. Sie sah die Welt, wie sie sie kannte, unter sich immer kleiner werden und empfand dennoch keine Furcht. Vielmehr fühlte sie sich, als würde die ganze Welt ihr gehören.
Sie kam auf einem Hügel zum Stehen, der von Nebelschwaden, die vom Tal hinaufstiegen, umringt war, so dass der Hügel selbst wie eine Insel in einem Meer aus Wolken wirkte. Dhalia sah einen Fluss in der Ferne in den ersten Strahlen der Morgensonne glitzern. Sie spürte, wie sie losrannte und sich plötzlich mit beiden Füßen abstieß, um über das unter ihr liegende nebelverhangene Tal zu schweben. Sie fühlte den Wind unter sich, der sie immer höher und weiter trieb, bis sie die Erde ganz aus den Augen verloren hatte. Es war ein berauschendes Gefühl.
Plötzlich fiel ihr auf, dass sie allein war. Ein Gefühl unendlicher Einsamkeit überkam sie. Auf einmal hatte sie Angst, dass sie den Weg zurück nicht finden würde, dass sie immer weiter fort treiben würde, unfähig, jemals wieder einen Fuß auf diesen Hügel zu setzen, wo sie sich so friedlich und geborgen gefühlt hatte.
Bei diesem Gedanken stieg Panik in ihr auf. Sie bemühte sich, die zunehmende Leere unter sich mit ihren Blicken zu durchdringen, und verlor dabei im Flug das Gleichgewicht. Dhalia strauchelte und stürzte kopfüber in die Tiefe.
Sie fand sich in einem Haus wieder, das große Wärme und Ruhe, beinahe Erhabenheit ausstrahlte. Sie spürte, wie sich ihr Herz von der Aufregung des Sturzes erholte, wie sie selbst zur Ruhe kam. Sie fühlte sich sicher, als könnte ihr in diesem eigenartigen Raum nichts passieren. Ein wunderschönes Gesicht kam plötzlich in ihr Sichtfeld. Erstaunt erkannte Dhalia, dass sie nun in einem Bett lag. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie die feinen Züge der Frau erblickte, die sich über sie beugte. Darin lag so viel Schmerz, dass es Dhalia nicht überraschte, als sie eine heiße Träne spürte, die auf ihre Wange fiel. Das Gesicht kam näher und drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. Dabei strich eine blonde Locke, die nach einem warmen Sommermorgen duftete, über ihr Gesicht. Dann war die Frau wieder verschwunden und mit ihr wich auch jegliche Wärme aus dem Haus. Dhalia fühlte sich auf unerklärliche Weise betrogen und im Stich gelassen, weil sie dieses Gesicht nicht mehr sehen und den Duft des langen Haares nicht mehr einatmen konnte. Das Gefühl des Verlustes war so stark, dass sie zunächst gar nicht merkte, wie sich ihr Traum schon wieder veränderte.
Irgendwann wandte sie ihren Kopf zur Seite und sah
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