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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Dieser typische
„So-was-kann-auch-nur-dir-passieren“ –Blick, der ihn so oft zur Weißglut
gebracht hatte. Dann lief sie eilig hinter der Trage her.
    Er folgte langsam durch die Glastüren in den Flur. Augenblicklich
legte sich der scharfe Geruch von Desinfektionsmitteln auf seine Bronchien.
Rote und gelbe Markierungen auf dem hellen Steinboden wiesen den Weg. Rot stand
für Notaufnahme, wie ein Schild neben der Tür verkündete, gelb für Ambulanz. Chris
ging entlang der roten Markierung weiter.
    „Wollen mal sehen, dass wir trockene Sachen für Sie kriegen, Doktor
Sprenger“, sagte eine alte, brüchige Stimme neben ihm.
    Erschrocken fuhr Chris zusammen und sah in ein freundliches,
zerfurchtes Gesicht. Schwester Hilde war so etwas wie das Faktotum der
Notaufnahme und mindestens so alt wie Methusalem. Dieses von Franziskanerinnen
geleitete Krankenhaus konnte schon lange nicht mehr alle Mitarbeiterinnen aus
den eigenen Reihen rekrutieren. Die wichtigsten Verwaltungsposten waren noch
von Ordensfrauen besetzt, beinahe alle Krankenschwestern jedoch weltlich.
Schwester Hilde war eine der wenigen Nonnen, die im Pflegebereich ihren Dienst
taten. Sie hätte sich schon längst in ein Kloster zurückziehen und ihren Lebensabend
genießen können — müssen! Aber niemand brachte es fertig, ihr das nahe zu
legen. Sie gehörte seit vierzig Jahren in dieses Krankenhaus, dreißig davon
hatte sie in der Notaufnahme verbracht. Und Chris war sicher, sie in ein
Kloster abzuschieben, hätte sie innerhalb von drei Monaten umgebracht. Man
hatte sie nicht einmal dazu bewegen können, keine Nachtdienste mehr zu machen,
wie Anne vor kurzem erst erzählte. Also wurde sie beschäftigt. Nicht mehr mit
der Alltagshektik, den Sturzbetrunkenen, die durch Scheiben fielen oder sich
den Kopf aufschlugen, nicht mehr mit Unfallopfern oder verprügelten Frauen. Sie
war einfach da, besorgte hier ein Bett, brachte dort etwas in Ordnung, kochte
Tee, beantwortete Telefonate oder sorgte eben für trockene Klamotten.
    Schwester Hilde hakte sich bei Chris unter und führte ihn den Gang
hinunter. „So was bringt einen ganz schön durcheinander, nicht?“, sagte sie
weich, schob ihn in Annes Zimmer und schlurfte davon.
    Nichts war verändert in dem Raum, den er seit zwei Jahren nicht mehr
betreten hatte. Der mit Papieren und Fachzeitschriften übersäte Schreibtisch.
Wer sollte da jemals etwas wiederfinden? Die schmale Liege, deren weißes Laken
noch unbenutzt war. Daneben die kleine Kommode mit der Leselampe darauf und dem
silbernen Bilderrahmen. Und immer noch steckte darin eine Fotografie von Chris.
Eine in die Kamera lachende schlanke Gestalt, mit dunkelblonden, vom Wind
zerzausten Haaren und grünen Augen. Neben dem Rahmen lag ein Buch mit hellem
Einband. Mit Sicherheit Tolstoi oder Dostojewski. Anne liebte die Russen. Chris
tippte auf Tolstoi, verdrehte den Kopf, um den Titel zu entziffern und zog die
Nase hoch. Ihm war immer noch elend kalt in dem triefenden Anzug.
    Mit einem „Ich hoffe, es passt einigermaßen“, kam die alte Nonne zurück,
legte ein weißes Bündel auf die Liege und verschwand ebenso lautlos, wie sie
gekommen war.
    Weiß! Wieso war in Krankenhäusern immer alles weiß? Das war keine
Farbe, die zu Leid und Tod passte. Sogar das Handtuch ganz oben auf dem Bündel
war weiß.
    Nur mühsam gelang es Chris, sich aus den nassen Sachen zu schälen.
Dort, wo er gestanden hatte, hinterließ er eine kleine Pfütze. Er rieb sich
kräftig bis die Haut rot wurde, dann rubbelte er das Haar halbwegs trocken.
    Schwester Hilde hatte nicht nur an T-Shirt, Unterwäsche und Hosen
gedacht, sondern sogar an Socken und Pantoletten. Aber als Chris umgezogen war,
fror er immer noch. Dann erinnerte er sich, dass Anne den kleinen Wandschrank
neben dem Waschbecken mit einem Kollegen teilte. Er öffnete eine Tür, und neben
drei blütenweißen Kitteln fand er, was er suchte. Eine graue, grob gestrickte
Jacke, die schon auf den ersten Blick wie ein Sack aussah. Als er sie angezogen
hatte, reichte sie ihm bis zu den Oberschenkeln und seine Hände verschwanden
komplett in den Ärmeln. Als er die Ärmel ein gutes Stück hochkrempelte, fiel
ihm auch wieder ein, wer der Kollege war. Ein Hüne von fast zwei Metern Größe
und mit Schultern wie ein Bodybuilder. Nun, Chris wollte ja schließlich keinen
Schönheitspreis gewinnen. Als er sich auf die Liege fallen ließ, fiel sein
Blick wieder auf den Bilderrahmen. War es nicht längst an der Zeit, einen
lachenden

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