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Feind aus der Vergangenheit

Feind aus der Vergangenheit

Titel: Feind aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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nachdem sie gebissen hat?“
    „Entweder“, er lachte, „setzen
wir sie wirklich im Park aus. Kalte Nächte würde sie zwar nicht überleben. Aber
vorher gäbe es noch eine Menge Chaos. Oder wir bringen sie gleich um und
beseitigen den Kadaver.“

5. Der Blinde sieht alles
     
    Tim musterte den tätowierten
Mistkerl, der auf ihn zukam, streitsüchtig — aus welchem Grunde auch immer.
Wirklich ein Mistkerl, ein Bürger- und Passantenschreck, ein Schläger und
Pöbler.
    „Was ist?“ fragte der
TKKG-Häuptling.
    „Du bist auf mein Schienbein getrampelt,
Saftheini.“
    Tim lächelte milde. „Du hast
mir ein Bein gestellt — so war es doch wohl.“
    „Waaaaaas?“
    Er packte Tims Sweatshirt an
der Brust. Mit der anderen Hand, die sich zur Faust ballte, holte er aus.
    „Gib’s ihm, Leo!“ kreischte das
Mädchen.
    Tim duckte sich, fegte Leo mit
einem Kung-Fu-Tritt die Füße weg und half nach mit dem Ellbogen, der auf einem
tätowierten Ohr landete. Der Stoß knallte. Und noch lauter hörte es sich
vermutlich an in Leos Dumpfschädel.

    Der Kerl krachte erst auf den
Hintern, dann aufs Kreuz und blieb liegen wie festgenagelt.
    Staunend starrte die
Bunthaarige den TKKG-Häuptling an. Dann leckte sie sich lächelnd die Lippen.
Mitleid mit Leo kam gar nicht erst auf.
    Der rollte auf die Seite.
Zwischen den Zahnreihen kam ein Laut hervor, als hätte er eine Fischgräte im
Hals: ein Stück Rückgrat von Orka, dem Killerwal.
    „Kühle Kompressen helfen
vielleicht“, sagte Tim und lief in die Bahnhofshalle.
    Geschmeiß! dachte er. Da muß
man draufhauen. Was anderes verstehen die nicht. Macht mich an, dieser
Dreckskerl, obwohl ich doch die Harmlosigkeit bin in Person. Dieser Grufti! Ist
wohl als Pubi (Pubertierender) an zu langer Leine gelaufen!
    Tim strich ihn aus seinen
Gedanken — was freilich nur zunächst möglich war — und tigerte alsdann umher in
der weitläufigen Halle: vornehmlich in der Nähe von Fotoautomaten, wo zur Zeit niemand Gebrauch machte von der
Möglichkeit, sich lichtbildnerisch zu konterfeien.
    Lebhaft ging’s zu ansonsten.
Menschen, Menschen, Menschen — Einheimische, Fremde, Ausländer, jung und alt,
arm und reich. Aber keine Spur von Susanne.
    Cool bleiben! befahl sich der
TKKG-Häuptling. Noch besteht kein Grund zur Sorge. Sicherlich gibt’s eine ganz
einfache Erklärung. Andererseits: Mutti ist zuverlässig. Sie wollte und sollte
warten im Auto. Wieso fährt sie weg?
    Neben einem Kiosk, wo man Obst
kaufen konnte, Sandwiches und Getränke, stand ein Bettler: langer Staubmantel,
Hut, Künstlermähne bis in den Nacken. Die schwarzgläserige Sonnenbrille
verdeckte das halbe Gesicht. Er stützte sich auf einen weißen Blindenstock. Am
Ärmel trug er die gelbe Blindenbinde. Die freie Hand hielt er ausgestreckt. Ab
und zu legte ein Passant eine Münze hinein.
    Tim beobachtete eine Weile und
rechnete dann die Einnahmen hoch. Sicherlich entsprachen sie dem Stundenlohn
eines Facharbeiters — nicht dem eines Meisters. Das war früher so gewesen, aber
nicht mehr in den Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs.
    Nach einer Weile trat er zu ihm
und legte die acht Schillingmünzen, die er noch besaß, in die nicht ungepflegte
Hand. „Danke, mein Sohn!“
    „Gern geschehen. Wo sind Sie
blind? Auf den Hühneraugen?“
    „Habe ich nicht. Ich trage
passende Schuhe.“
    „Ich wette, Sie sind nicht mal
kurzsichtig.“
    „Hast schon gewonnen.“
    „Aber Blindenstock und die
Binde?“
    „Berufskleidung.“
    „Erweckt Mitleid?“
    „Bei einigen. Bei andern könnte
ich den Kopf unterm Arm tragen — sie würden keinen Groschen rausrücken.“
    „Sie klingen nicht nach
Österreicher.“
    „Bin aus Deutschland. Wie du.
Aus Brandenburg. Seit zwei Jahren bereise ich Europa.“
    „Immer auf diese Tour?“
    „Immer. War Landarbeiter. Aber
die Wirbelsäule macht nicht mehr mit. Trotzdem keine Rente. Und Umschulen ist
nicht mehr. Bin bald 60. Was bleibt mir also übrig?“
    Tim nickte, ließ eine Kunstpause
wirken und fragte dann: „Sie beobachten Ihre Umgebung?“
    „Wie ein Luchs.“
    „Ist Ihnen eine Frau
aufgefallen, die dort beim Fotoautomaten gewartet hat? So etwa vor 30 Minuten?“
    „Da waren zwei: eine kleine
Blondine und eine brünette Dame. Die Blonde ging weg. Die andere wartete.“
    „Die meine ich. Es ist meine
Mutter.“
    „So eine junge Mutter?“
    „Sie wird sich freuen, das zu
hören. Sie ist 38.“
    „Sieht jünger aus.“
    „Wann ging sie weg?“
    „Nachdem sie auch den

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