Feind in Sicht
rieb sich unschlüssig das Kinn. »Aber hier gibt es zahllose Inseln. Man würde eine ganze Flotte und viele Jahre brauchen, sie alle abzusuchen.«
Dann nickte er heftig. »Aber Sie haben recht, er braucht einen Ankerplatz, wo er seine Schäden ausbessern und neue Pläne ausarbeiten kann.«
Fitzmaurice fragte: »Kennen Sie solch einen Platz?«
»Noch nicht.« Bolitho schaute Mulder an. »Aber Sie werden darüber sicher nachdenken.«
Pelham-Martin erhob sich mühsam und stützte sich auf seine Stuhllehne. »Wenn nur meine Verstärkungen kämen!« Dann atmete er tief aus. »Aber ach, ich hätte durch meine bisherigen Erfahrungen gewarnt sein sollen.« Er sah Bolitho an, und sein Gesicht spiegelte plötzliche Verzweiflung. »Sie sind mein ältester Kommandant, und ich muß Ihren Rat ernsthaft in Betracht ziehen, denn ich weiß, daß er sich auf langjährige Erfahrung im Dienste des Königs stützt. Aber
ich
habe das Kommando, und die letzte Entscheidung treffe
ich.
Wir werden mit größter Beschleunigung nach St. Kruis zurückkehren, und von dort werde ich eine Korvette mit einem Bericht direkt nach England schicken.«
Bolitho beobachtete ihn ungeduldig. Es überraschte ihn immer wieder, wie schnell sich Pelham-Martin aus fast völliger Mutlosigkeit aufraffen konnte. Der Gedanke, daß immer noch Aussicht bestand, sein Ansehen zurückzugewinnen, bevor Admiral Cavendish von seinem Versäumnis erfuhr, den Feind völlig zu vernichten, schien ihm neue Hoffnung und Selbstvertrauen zu geben. So blickte er jetzt auch mit einem Anflug seiner bisherigen Strenge auf Farquhar.
»Ich hatte eigentlich vor, Ihnen einen Verweis dafür zu erteilen, daß Sie Ihr Aufklärungsgebiet selbständig verlassen haben. Da Ihre Initiative uns indessen die einzige nützliche Information gebracht hat, muß ich Sie wohl mit Nachsicht behandeln und Ihre Aktion im Protokoll aufnehmen.«
Farquhar betrachtete ihn mit dem Anflug eines Lächelns auf seinem hochmütigen Gesicht. »Als ich noch als Midshipman unter Kapitän Bolitho diente, hatte ich einen ausgezeichneten Lehrherrn, Sir. Da habe ich gelernt, daß Angriff und Kampf ohne vorherige Aufklärung ebenso töricht wären, wie einen Blinden mit einer Muskete ins Gefecht zu schicken.«
Bolitho räusperte sich. »Werden Sie jetzt auf mein Schiff zurückkehren, Sir?«
Pelham-Martin schüttelte den Kopf. »Später. Ich muß erst gründlich nachdenken. Fahren Sie alle auf Ihre Schiffe zurück, meine Herren!«
Außerhalb der Kajüte standen die drei Kommandanten schweigend herum, während Mulder davoneilte, um ihre Boote herbeizurufen.
Fitzmaurice brach als erster das Schweigen. »Als ich Farquhars Bericht hörte, schien mir alles ziemlich hoffnungslos zu sein. Es kam mir vor, als hätte man mich zum Narren gehalten und als sei alles, wofür ich bisher mein Leben eingesetzt habe, vergeblich gewe sen.« Er sah Bolitho ernst an. »Aber als ich Ihnen dann zuhörte, wie Sie Ihre Gedanken vortrugen, fühlte ich neue Kräfte in mir.« Er suchte nach den rechten Worten. »Mein Erster Offizier, Quince, hat es nach der Rückkehr aus dem Sumpf ausgesprochen. Er sagte: Wenn Sie, Bolitho, das Kommando über das Geschwader gehabt hätten, wäre Lequiller gar nicht erst von der französischen Küste weggekommen.«
Farquhar lächelte. »Hoffen wir, daß es noch nicht zu spät für einige Korrekturen ist.«
Bolitho beobachtete, wie sein Boot von achtern heranruderte. Es war typisch für Farquhars Freimut gewesen, wie er mit Pelham Martin gesprochen hatte. Doch er mußte es ablehnen, wenn sich die anderen Kommandanten von Gefühlen leiten ließen.
Farquhar brauchte allerdings keine Angst vor Pelham-Martins Einflüssen außerhalb der Marine zu haben. Seinem Vater gehörte halb Hampshire, und er stammte aus einer langen Reihe berühmter Seeoffiziere, von denen einige sogar Admirale gewesen waren. Dennoch lag es Farquhar fern, Dreistigkeit zu demonstrieren, die ihm später vielleicht als Komplott oder mangelhafte Unterstützung seines Kommodore hätte ausgelegt werden können. So etwas ging ebenso gegen seine Natur, wie einen gewöhnlichen Seemann als Gleichgestellten zu betrachten.
Als Bolitho später auf dem Achterdeck der
Hyperion
stand und beobachtete, wie die
Spartan
an ihren langsameren Gefährten vorbeipreschte, fühlte er etwas wie Neid in sich aufsteigen. Eine Fregatte war doch etwas ganz Besonderes: schnell, unabhängig und sehr persönlich. Dort war einem das Gesicht und das Verhalten jedes einzelnen
Weitere Kostenlose Bücher